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* Literatur.
alles, was nicht unter dem gemeinen Recht steht, Gesetz für Privat-
personen, in privater Weise erlassenes Gesetz oder aus privare und lex,
also Entbindung vom gemeinen Recht behandelt. Dann folgt die Sach-
erklärung: Nach Gratian ist das Privileg ,,ein für einzelne erlassenes
Spezialgesetz, das den damit Beliehenen eine nach dem gemeinen Recht
nicht zustehende Vergünstigung gewährt", nach der Summa Monacensis:
ein außerhalb des gemeinen Rechts und im Widerspruch mit ihm erteiltes
Gesetz, nach Sikard von Cremona: ein Spezialgesetz, nach Johannes
Andreä: ein Gunsterweis im Widerspruch mit dem gemeinen Recht und
eine Unterart des beneficium im weiteren Sinn, neben dem b. im engeren
Sinne, einer Vergünstigung außerhalb des gemeinen Rechts, und dem
Reskript, einem Gunsterweis gemäß dem gemeinen Rechte. Bernhard
von Pa via unterscheidet zuerst zwischen Privileg und Dispensation.
Aber daß in jenem Fall objektives, in diesem subjektives Recht ge-
schaffen wird, kommt den Dekretalisten ebensowenig zum Bewußtsein
wie den Dekretisten. Begreiflicherweise, die scharfe Scheidung von
Recht im objektiven und im subjektiven Sinn ist eben jener Zeit noch
fremd. So wird denn in der kanonistischen Literatur der in Rede stehen-
den Periode privilegium anstandslos für Dispensation mit gebraucht.
Mit den Arten der Privilegien beschäftigt sich der zweite Teil.
Da ist es Rufin, der in seiner Summe zuerst die von den Späteren fest-
gehaltene Unterscheidung von generellen und speziellen Privilegien
macht, d. h. von solchen ganzer Klassen und von solchen für eine einzelne
Person oder Sache. Die heutige Unterscheidung von Privilegien im
weiteren Sinne, die als für ganze Klassen erlassene singuläre Rechts-
normen sich darstellen, aber nicht den Charakter eigentlicher Privilegien
haben, und von Privilegien im engeren Sinne, d. h. von nur für bestimmte
Personen oder Sachen, aber nicht ausnahmslos für alle gleicher Art ge-
gebenen, vom gemeinen Recht abweichenden Rechtsnormen ist das
noch nicht. *
Das Privilegierungsrecht schreibt Gratian dem Papste zu. Die
Summa Monacensis vertritt zuerst ausdrücklich auch ein Privilegien -
recht der Konzilien und Bischöfe. Auch die Summa Coloniensis kennt
ein Privilegienrecht der iudices inferiores, erklärt es aber aus Delegation.
Sikard von Cremona weiß nichts von einem ausschließlichen päpstlichen
oder kaiserlichen Privilegienrecht, nimmt dasselbe für alle Jurisdiktions-
inhaber, geistliche wie weltliche, in Anspruch; für Papst und Kaiser
gründet er es auf das oberste Gesetzgebungsrecht, während Bernhard
von Pa via das bischöfliche Privilegierungsrecht auf der Gewohnheit
^brühen läßt. Entstehungsgrund eines Privilegs ist nach der Glosse
zum Dekret? auch Gewohnheit, nach Bernhard von Pa via unvordenk-
liche Gewohnheit. Beachtung verdient, daß die Glossatoren noch nichts
davon wissen, daß auch das Privilegierungsrecht der niederen Gewalten
aus deren Gesetzgebungsrecht fließt und sich nach demselben bemißt.
Wenig ist aus den Kanonisten dieser Zeit zu holen für die Frage, ob
Privilegien auch mündlich erteilt werden können. Johannes Andreä
scheint der Ansicht zu sein, daß ein Privileg des Apostolischen Stuhls