Full text: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Kanonistische Abteilung (2 (1912))

Der Anteil des Christentums an den Ordalien.

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daß beim Gottesurteil die Gottheit lediglich um eine sofortige
oder doch in bestimmter, kurzer Frist zu fallende Entschei-
dung 1 * * 4) einer Streitfrage2), vornehmlich der Frage der Schuld
oder noch besser3) der der Verantwortlichkeit in einem be-
stimmten Strafrechtsgange gebeten wird. Durch die Ab-
stellung auf die Vergangenheit unterscheidet sich das Ordal
vom Orakel, das künftige Dinge offenbaren soll. Dadurch,
daß es sich auf die (unmittelbar folgende) Entscheidung be-
schränkt und die allfällige Bestrafung dem Richter überläßt,
unterscheidet es sich von dem Bestärkungs- oder Reinigungs-
mittel, als welches vornehmlich der Eid diente; dieses heischt
von Gott — gewöhnlich von einer Selbstverfluchung begleitet —
nicht so sehr eine Entscheidung — diese höchstens bloß
mittelbar — als vielmehr Strafe für den Fall seiner eitlen
Anrufung. Dieses Gottesgericht, das in Krankheit oder Tod
bestehen konnte, wurde hierbei nicht als unmittelbar folgend
erwartet. Beides, Gottesurteil und Gottesgericht, konnten
auch ineinanderfließen und flössen ineinander. Man könnte
ebenso wie von ordalhaften Eiden auch von eidhaften Ordalen
sprechen. Ersteres war der Eid auf die Gräber oder Gebeine
der Märtyrer, wobei die Entscheidung durch ein sofortiges
Wunder oder durch eine unmittelbar folgende Bestrafung
des Schwörenden von Gott erwartet wurde4), letzteres ist
etwa der Fall, wenn der Beschuldigte bei der Vornahme der
Probe des geweihten Bissens erstickte; ein Gottesurteil wird
hier erwartet, das aber zugleich zum Gottesgericht wird. In
beiden Anwendungen findet sich nun die Eucharistie. Als
wahres Gottesurteil wird sie unzweifelhaft bezeugt durch ein
Ordalgebet, das uns in einer Pergamenthandschrift des Chor-
herrenstiftes in Lucca aus dem ll.(?) Jahrhundert überliefert
ist.5) Es sei seiner besonderen Wichtigkeit halber hier voll-
ständig abgedruckt:
1) Die Entscheidung erfolgte regelmäßig sogleich, nur beim Feuer-
ordal (einschließlich Kesselfang) erst nach drei Tagen. Vgl. auch
Franz, Benediktionen, II, 8. 310. — *) Auch außergerichtlich; vgl.
Brunner, Bechtsgeschichte, II, S. 405. — *) Mit Rücksicht auf das
damalige Vorwalten der Erfolghaftung. — *) Brunner, Rechtsge-
schichte, I*, 8. 260f.; Franz, Benediktionen, II, 8. 811f. — *) Abge-
druckt in Stephani Baluzii Tutelensis Miscellanea ed. J. Mansi, II,
Lucae 1761, p. 575.

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