Miszellen.
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Richtigkeit sich ebenso wenig bündig widerlegen wie beweisen läßt.
Alles steht auf des Messers Schneide und ist mit einer durch strenge
wissenschaftliche Methode gezügelten geistvollen Subjektivität durch-
tränkt. Gerade darin besteht der Reiz dieser Harnackschen Studie.
Wie man sich auch zu ihr stellen mag, niemand wird verkennen, daß
wir in ihr ein Kabinettstück kirchenverfassungsgeschichtlicher Arbeit
vor uns haben. In diesem Sinne bitte ich, die im Nachstehenden
daran angeknüpften kurzen Bemerkungen aufzunehmen und zu ver-
stehen.
Der erste Paragraph, der die Frage behandelt: Wo residierten die
römischen Bischöfe in der vorkonstantinisehen Zeit? berührt sich mit
den Untersuchungen Kirschs so gut wie gar nicht. Wohl aber mit
der früher erwähnten Abhandlung von Duchesne (vgl. auch dessen
„Histoire ancienne de PEglise“ I, in der von mir benützten 2e edition,
Paris 1906 p. 528s.) und mit anderen älteren und neueren Forschern,
die entweder an der via Appia und noch früher an der via Salaria,
bei der späteren Titelkirche von St. Laurentius in Damaso, in der
Kirche des Kallist = titulus Julii, jetzt S. Maria in Trastevere, oder end-
' lieh auf dem Aventin den Sitz und die Kirche des römischen Bischofs
für die Zeit gesucht haben, ehe Konstantin dem Papste Silvester den
Lateran schenkte und daselbst die basilica Constantiniana oder St. Johann
im Lateran als omnium urbis et orbis mater et caput eingerichtet
und anerkannt wurde. Demgegenüber tut Harnack kurz und bündig
die Unhaltbarkeit aller dieser Lösungsversuche dar und stellt er fest,
daß „auch in den letzten dreißig Jahren sich keine Spur von dem
gesuchten kirchlichen Zentrum, dem Sitz des Bischofs, seiner Kirche
und seiner Administration in der Stadt Rom für die vorkonstantinische
Zeit hat entdecken lassen.“ Und daran knüpft er nun, für die Kirchen-
historiker, besonders die katholischen, gewiß sehr überraschend, die
Frage, ob die Zentral Verwaltung der römischen Gemeinde und ihr
Bischof im dritten Jahrhundert überhaupt einen festen Sitz gehabt
haben, und ob es eine ständige Zentralkirche in dieser Zeit gegeben
hat? Diese Frage trotz der anerkannten Geschlossenheit und Stärke
der römischen Zentralregierung zu verneinen, bestimmt ihn vornehmlich
die Beobachtung, daß nach den Angaben des Papstbuches mit der
Stiftung der Lateranbasilika keine besondere Absicht, namentlich
nicht die sofortige Aufschlagung oder die Übertragung des Zentral-
sitzes verbunden war, und vor allem, daß der Lateran erst allmählich
im Laufe des vierten Jahrhunderts zentrale Bedeutung erlangt hat
(vgl. z. B. die oben 8.296 erwähnte römische Synode von 340 oder 341 in
der Titelkirche des Presbyters Biton und die Kämpfe um andere Kirchen
bei streitigen Bischofswahlen). Er meint, der Zentralsitz habe örtlich
gewechselt, sodaß der Bischof die Gemeinde jedesmal oder wenigstens
in der Regel von der Kirche aus verwaltete, an der er schon als
Presbyter tätig gewesen war, oder mit der er als Diakon in irgend-
welcher Beziehung gestanden hatte. M. a. W., er nimmt einen Zustand
an, wie er heute in den Dekanaten besteht, wo die Dekanatswürde ja