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Emil Ott,
auf andere ähnliche oder auf neuere gesetzliche Anordnungen,
selbst auf Bibelstellen, manchmal auch der Versuch, eine
Berührung mit dem römischen Rechte herzustellen. Repe-
titiones befaßten sich mit der Erklärung einzelner Quellen-
stellen in weiterem Umfange, als es in der Hauptvorlesung
geschah, unter Berücksichtigung der von einzelnen Schrift-
stellern aufgeworfenen Einwendungen gegen bestimmte Er-
klärungsversuche. Disputationen bestanden in einem be-
sonderen Vortrage über einzelne Rechtsfragen, gegen deren
Lösung alle nach den Universitätsstatuten dazu Berechtigten
opponieren durften. Das Thema mußte jedoch einige Tage
vor dem für Disputationen allgemein bestimmten Wochen-
tage öffentlich bekannt gemacht und später die schriftliche
Ausführung bei der Fakultät niedergelegt werden.1)
Das ermüdende und abspannende Diktieren in der Vor-
lesung statt des freien Vortrags wurde durch ein besonderes
Statut vom 20. April 1367 verboten.
- Bei Anwendung der scholastischen Methode mußte der
Unterricht das Recht in eine Menge von Einzelheiten zer-
splittern, ohne daß man dazu gelangte, die einzelnen Sätze
unter höhere Einheiten zu bringen.
Unter all den zahlreichen auswärtigen und einheimischen
Rechtslehrern, welche im XIV. Jahrhundert an der Prager
Universität wirkten, findet sich kein hervorragender Gelehrter,
der durch seine Schriften für die mittelalterliche juristische
Literaturgeschichte von Bedeutung wäre. Die uns erhaltenen
Werke aus jenen Tagen, mögen sie Professoren der Rechts-
fakultät oder geistliche Würdenträger zu ihren Verfassern
haben, enthalten lediglich die Summe des Wissens, die an
den gleichzeitigen Universitäten Italiens und Frankreichs
gelehrt wurde. Anerkannt mag werden, daß die analytische
Behandlungsweise des Quellenmaterials zurückhaltender und
nüchterner ist als in ähnlichen Arbeiten italienischen Ur-
sprungs. Außerdem zeigt sich ein Uberwiegen literarischer
Tätigkeit auf den im praktischen Leben wichtigsten Gebieten,
') Ein Doktordiplom, ausgestellt vom Universitätskanzler, dem
Erzbischof von Prag, für einen Angehörigen der facultas artium aus
dem Jahre 1359 ist abgedruckt bei Berghauer, Protomartyr poeni-
tentiae 8. 69; auch bei Jireöek: Corpus jur. boh. II pars 3 p. 249.