Volltext: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Kanonistische Abteilung (3 (1913))

Der Prozeß im Decretum Gratiani usw.

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Beweispflicht des Angeklagten doch eine Purgationspflicht
bei vorhandener mala fama anerkennt. Ob eine Anklage
vorausgegangen ist, oder ob es sich um ein von Amtswegen
eingeleitetes eigentliches Purgationsverfahren4) handelt, macht
dabei keinen Unterschied.2) Dio purgatio wird in jedem
Falle vom Richter ex officio angeordnet. Für das Akku-
sationsverfahren kommt sie dann in Betracht, wenn der
Ankläger zwar nicht zur vollen Überführung des Angeklagten
gelangt ist, immerhin aber den Nachweis einer publica in-
famatio erbracht hat.
Bei den Dekretisten finden sich die verstreuten und zum
Teil widersprechenden Sätze Gratians in die allgemeine Lehre
vereinigt, daß eine purgatio bei publica fama einzutreten
hat, gleichgültig ob eine accusatio vorausgegangen ist oder
nicht.3) Als publica fama wird nach Rufinus nicht -die mala
fama ex inimicorum confictione, sondern nur die mala fama
ex certa presumptionc anerkannt.4)
Wie die purgatio sich im einzelnen vollzieht und welches
Verfahren dabei zu beobachten ist, darüber wird später bei
der zusammenhängenden Darstellung des von Amtswegen
eingeleiteten eigentlichen Purgationsverfahrens gehandelt
werden.5)

*) Hierüber s. u. §15 S. 320(1. — 2) Wenn Hinschius 8. 348 mit
Anm. 2 behauptet, eine purgatio komme bei Gratian nicht in Betracht,
falls die erhobene Anklage nicht habe bewiesen werden können, so er-
klärt sich das aus einer ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs
erfolgten Würdigung von dict. Gr. p. c 1 C VI q 5. In c 2 1. c. macht
Gratian selbst schon die Einschränkung für den Fall der mala fama.
Auch die von Hinschius a. a. 0. angezogenen Ausführungen der
Dekretisten bestätigen seine Behauptung nicht; Stephanus 8.169 zu
0 II q 5 sagt ausdrücklich:
Nam eorum, qui accusantur, alii publice infamantur, alii non. Ubi
non est communis infamia, non est communis purgatio iniungenda.
— *) Vgl. Paucapalea S. 60 zu C II q 5, 8. 72 zu 0 VI q 5, 8. 85 zu
G XV q 5, dieser noch in gänzlicher Abhängigkeit von Gratian.
R o 1 a n d u s S. 17 zu C II q 5, 8. 22 zu C VI q 5, S. 34 zu C XV q 5.
Rufinus 8. 248ff. zu C II q 5, 8. 285 zu C VI q 5, 8. 348 zu C V q 5.
Stephanus 8.169 zu C II q 5. — 4) Rufinus 8. 248 ff. zu G II q 5.
«) 8. u. §15 S. 320 ff.

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