Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

Laienverstand und Rechtsprechung.

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um dasselbe überhaupt als unbeachtlich hinzustellen; denn
bekanntlich kommen auch trotz aller unserer „juristischen" Kennt-
nisse, unerachtet unserer „juristischen Begriffe" in derselben
Sache recht verschieden lautende Urtheile zu Stande, ohne daß
wir Juristen bis jetzt deshalb unsere ganze Wissenschaft für
bankerott erklärt hätten.
4) Aber auch ein besonderes Schutzmittel gegen eine
formalistische Rechtsprechung J) stellen die §§ 157,
242 B.G.B. dar.
Dadurch daß der Richter es heutzutage regelmäßig mit
staatlichen Gesetzen zu thun hat, bei deren Abfassung eine be-
sondere Mühe auf Präzision des Ausdrucks gelegt, bei denen
jedes Wort genau überlegt und abgewogen ist, bei denen Ge-
wicht darauf gelegt ist, daß durch das ganze Gesetz hindurch
das eine oder andere Wort in gleicher Bedeutung gebraucht
wird — bei dieser Wichtigkei t, welche hier der W o r t f a ssu n g
zukommt, verkennt der Richter leicht, daß im Verkehr das
gerade Gegentheil der Fall ist.
Im Verkehr legt der Einzelne — selbst der Jurist! —
die Worte nicht auf die Goldwage, und mit Recht. Denn
er weiß auf Grund der ihm geläufigen und bekannten Ver-
kehrssitte, daß der Verkehr dem einzelnen Wort, je nachdem
es unter diesen oder jenen Umständen abgegeben wird, eine
andere Bedeutung zuweist, daß Handlungen und Unterlassungen
vom Verkehr in bestimmtem Sinn ausgelegt werden.
i) Endemann, dessen „Einführung" sich überhaupt durch den
praktischen, stets auf den wirthschaftlichen Erfolg der Gesetze gerichteten Blick
des Verfassers auszeichnet, geht auch davon aus, daß die formalistische
Richtung der modernen Rechtsprechung ihren Grund mit habe
in der Nichtachtung des Gewohnheitsrechts, a. a. O. Bd. 1 § 12 Note i.
Vergl. auch Bähr, Kritische Vierteljahrsschrift, Bd. 31 S. 369; Lenel,
Das B.G.B. und das Studium des röm. Rechts (Rektoratsrede 1896),
S. 30; Hartmann, Archiv f. d. civ. Praxis, Bd. 73 S. 400ff.

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