Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 38 = 2.F. 2 (1898))

Beiträge zur Auslegung des deutschen B.G.B 263
geschäfte, die ihrem Inhalte nach unsittlich sind, für nichtig er-
klärt werden. Anders aber ist die Sachlage bei solchen Ver-
trägen, die, insofern allein die Annahme des Versprechens durch
den Empfänger sich mit den guten Sitten nicht verträgt, nur
auf einer Seite eine Unsittlichkett bedeuten.
Zunächst ist im einzelnen Falle die Frage, ob in dieser
Hinsicht ein Verstoß gegen die Sitte vorliege, erheblich schwie-
riger zu beantworten als die andere, ob der Inhalt einer be-
stimmten Willenserklärung unsittlich sei. Denn darüber, wie
weit man einen Anderen übervortheilen dürfe und welche
Mittel zur Beeinflussung des Willens erlaubt seien, sind die
Ansichten in den verschiedenen Berufsklassen, den verschiedenen
Gesellschaftsklassen, ja sogar hinsichtlich der verschiedenen Ge-
schäftsakten durchaus verschieden. Halten doch z. B. beim
Pferdekause Leute „aus den besten Kreisen" mancherlei für er-
laubt, was sie sonst als höchst unanständig verwerfen. Und
so hat sich denn auch der Gesetzgeber genöthigt gesehen, die
allgemeine Bestimmung des § 138 Abs. I nach ganz be-
stimmten Richtungen zu spezialisiren und zu ergänzen, in § 138
Abs. II: Wucher, § 123: Betrug, Zwang.
Dabei hat man aber weiter den Fehler begangen, die
Folgen der verpönten Handlungsweise nicht gleichmäßig zu
regeln.
Erlistete und erzwungene Rechtsgeschäfte hat man in
§ 123 für anfechtbar, nicht aber für nichtig erklärt, und zwar
deshalb, weil hier nur das Verhalten der einen Seite zu miß-
billigen ist und es zweckmäßig dem geschädigten anderen Theil
überlassen bleibt, dagegen zu reagiren.
Dagegen sollen nach § 138 in jedem Falle un-
sittliche Annahmeerklärungen das Rechtsgeschäft nichtig machen,
obgleich hier — abgesehen vielleicht von den Fällen wirth-
schaftlicher Nothlage, die ein schärferes Eingreifen der Gesetz-

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