Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 35 = N.F. 23 (1896))

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Sjögren,

nahmen abgesehen, allen positiven Rechten widerstreitet. Durch
ein solches Gleichgewicht, wenn es zu Gunsten des Schaden-
stifters anzuwenden wäre, würde die Ersatz Pflicht in dem
Sinne, in welchem sie jetzt verstanden wird, d. h. als Ersatz
des verursachten Schadens negirt und an deren Statt eine
Privatstrafe wegen solcher Schadenzufügung eingeführt werden,
welche von dem Schadenstifter verschuldet worden ist. Die Frage
nach der Zukunft der Privatstrafen mag auf sich beruhen: die
Entwickelung des Schadenersatzrechts geht aber entschieden nicht
in dieser Richtung. Der Schadenersatz hat im heutigen Rechte
seinen Grund nicht in einem Delikte, dem selbstredend das
Schuldmoment charakteristisch ist, sondern in der Kausalität
des Willens, deren Existenz durch das Dasein eines Ver-
schuldens bewiesen wird").
45) Einzweiter Beweis für die bloß symptomatische Bedeutung des
Schuldmoments liegt in der Thatsache, daß dies Moment als Merkmal
der Schadenzufügung nicht in besondere Arten zerlegt wird, m. a. W.
nicht als ein System der individualisirten verbotenen Handlungen oder
Delikte erscheint. In der That ist dieser Beweis jedoch nur eine andere
Seite dessen, was oben ausgeführt worden ist; denn wenn den verschiedenen
Graden des Verschuldens eine rechtliche Relevanz zukäme, würde dies um
der Praktikabilität willen in keiner anderen Weise möglich sein als durch
Aufstellung verschiedener Arten des Verschuldens in dem Sinne, in welchem
die Delikte als solche Arten bezeichnet werden können, mag nun die Jndi-
vidualistrung durch das Gesetz oder aber durch das Ermessen des Richters
hergestellt werden. Innerhalb des römischen Rechts ist zwar diese Ent-
wickelung, bezw. die Differenzirung zwischen dem Thatbestande deS Delikts
und dem der Schadenstiftung nicht zu ihrem Abschluß gekommen; immer-
hin aber weist die allmählich fortschreitende Erweiterung einzelner Klagen,
wie der actio doli oder legis Aquiliae nebst der Abschwächung des pönalen
Charakters der Rechtsfolgen auf das Ziel hin, welches jetzt Wohl im Wesent-
lichen als erreicht bezeichnet werden kann. Der Dolusbegriff der Pan-
dektenlehrbücher leidet unter dem inneren Widerspruche zwischen der be-
grifflichen Forderung, daß das Delikt einen individualisirten Thatbestand
darstellen muß, und dem ebenso nothwendigen Postulate des Rechtsbewußt-
seins, daß Schadenersatz auch dann möglich sein soll, wenn ein Schaden
vorsätzlich verursacht worden ist, jene Jndividualistrung aber nicht vorliegt.

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