Besprechung reichsgerichtlicher Entscheidungen.
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Sicherung gegen Mehrheitsbeschlüsse, während doch hierin nur
die wichtigste, nicht die einzige Wirkung ihrer individualrecht-
lichen Seite liegt und überdies die mitgliedschaftlichen Sonder-
rechte zwar in ihren sonderrechtlichen Bestandtheilen für die
Körperschaft unantastbar, jedoch im Gegensätze zu reinen In-
dividualrechten keineswegs im Ganzen jeder Einwirkung des
Körperschaftsbeschlusfes entrückt sind. Sieht man aber auch
von der zu engen Fragestellung ab, so wird man doch weder
der von Lehmann, noch der von Regelsberger er-
theilten Antwort die behauptete Tragweite zugestehen dürfen.
Lehmann stellt für das Aktiengesellschaftsrecht die Formel
auf, daß im Zweifel der Mehrheitswille den Einzelwillen
nicht überwinden könne, „wo es sich um für den Einzel-
aktionär wesentliche Punkte der Gesellschaftsverfassung handle"
(S. 343 ff., 351 ff.). Das hiermit ausgesprochene Prinzip
ist nach seiner Meinung bei allen Privatrechtskörperschaften
verwerthbar (S. 297). Die Formel ist dehnbar genug, um
bei der Entscheidung der aufgeworfenen Einzelfragen des
Aktiengesellschaftsrechts (S. 352—393) ein angemessenes Er-
gebniß meist nicht zu verhindern. Sie gewährt aber keinen
an sich ausreichenden Maßstab und würde bei der Anwendung
auf andere und namentlich nicht wirthschaftliche Genossenschaften
vollends versagen. Im Grunde wird durch sie die Schwierig-
keit nur verschoben. Statt der Art und Stärke der den Mit-
gliedern zugestandenen subjektiven Rechte wird die Bedeutung
der die Körperschaftsordnung bildenden objektiven Rechtssätze
in den Vordergrund gerückt. Allein die subjektive Betrach-
tungsweise zieht durch eine Hinterthür wieder ein, da es ja
nicht darauf ankommen soll, ob eine statutarische Bestimmung
an sich, sondern ob sie „für das einzelne Mitglied" wesentlich
ist. Sachgemäß ist offenbar das in der Praxis gebräuchliche
umgekehrte Verfahren, das von der Frage nach der Beschaffen-