Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 65 = 2.F. 29 (1915))

Methode der Rechtsfindung im internationalen Recht. 145
§ 12. Theorien.
Damit sind die Mittel der Positivisten zur Ausfüllung
von Lücken erschöpft. Gleichwohl kann auf weitere Mittel
zur Lückenausfüllung nicht verzichtet werden. Bekanntlich
fagt art. 4 Cocte civil: „Le juge qui refusera dejuger,
sous pretexte du silence, de l’obscurite ou de l’in-
suffisance de la loi, pourra etre poursuivi comme
coupable de deni de justice.“ Dieser Satz wird überall
als ungeschriebenes Recht dahin anerkannt, daß es für die
Rechtsprechung keine unausfüllbaren Lücken geben darf.
Es muß also, wie auf allen anderen Rechtsgebieten, so
auch auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts nach
weiteren Mitteln zur Lückenausfüllung gesucht werden.
Aus diesem Streben sind die Doktrinen erwachsen,
welche sich von den Glossatoren bis zu Zitelm ann mit
dem internationalen Recht abgemüht haben. Daß sie keine
überstaatliche völkerrechtliche Gültigkeit zu beanspruchen haben,
ist bereits gezeigt. An dieser Stelle muß ihnen aber auch
die Kraft abgesprochen werden, Lücken im innerstaat-
lichen Gesetzesrecht auszufüllen. Gelingt es solchen
Theorien, sich gewohnheitsrechtliche Geltung zu ver-
schaffen, so hat man sich ihnen zu beugen. Soweit das
aber nicht der Fall ist, fehlt ihnen zunächst jede äußerlich
bindende Kraft. Man ist verpflichtet, sie innerlich auf Herz
und Nieren zu prüfen. Dabei wird man heute für das
Recht im allgemeinen nicht mehr dazu gelangen, festen
Regeln, welche unbekümmert um Gerechtigkeit und Zweck-
mäßigkeit auf Grund formal logischer Deduktion aufgestellt
werden, einen Einfluß auf die Rechtsprechung zu gewähren.
Geht das aber im allgemeinen nicht, so geht es auch nicht
auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts.
Es ist in der Tat das erste Erfordernis für einen gesunden

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