Full text: Zeitschrift für deutsches Staatsrecht und deutsche Verfassungsgeschichte (Bd. 1 (1867))

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Ueber beit Begriff des Staatsrechts im Allgemeinen

digen Selbständigkeit oder doch an der Anerkennung der Gleichberechtigung
mit andern Völkern d. h. an der völkerrechtlichen Gesellschaftlichkeit ganz
oder in wesentlichen Punkten wirklich fehlt oder zu fehlen scheint, sowie
Staaten, welche in einer dem erkennbaren providentiellen Princip des
Staats mehr oder weniger feindlichen Weise zusammengesetzt und einge-
richtet waren.
2. Daß zu der materiellen Berechtigung eines in sich geordneten Ge-
sammtwesens, als Staatsindividuum in der Staatengesellschaft aufzutreten,
auch die formelle Berechtigung, also die Anerkennung durch diese Gesell-
schaft selbst gehöre. Diese Anerkennung eines Staats als völkerrechtliches
Subject liegt nothwendig in jedem Vertrag, welchen ein bestehender Staat
mit einem andern Gesammtwesen als Staat schließt. Sie ist das Frei-
heits- oder Pactelement in der Staatengeseüschaft, und ohne dieses Prin-
cip giebt es kein Völkerrecht. Dem Recht eines Volks, sich als selbstän-
diges oder staatliches Volk zu entwickeln, entspricht die Pflicht der Staaten-
gesellschaft, einem Volk, welches eine eigene Individualität hat und demnach
fähig ist, die allgemeine Menschheitsaufgabe in einer materiell berechtigten
eigenthümlichen Weise anzustreben, eine Anerkennung nicht zu verweigern,
die resp. soweit sie mit der materiell berechtigten selbständigen eigenen
Individualität nicht collidirt. Hier werden, den unorganischen Zusammen-
setzungen, Zuständen und Zielen der bestehenden Staaten entgegen, die aus
denselben sich ergebenden materiell besser gerechtfertigten Strebungen zu
Neubildungen als Successionen und Annexionen, als Trennungen und
Vereinigungen der verschiedensten Art, oder als Lösungen und strammere
Schürzungen der bestehenden Verbindungen bemerkbar. Der definitive Sieg
des falschen Princips, welcher den Verfall der Nationen inaugurirt, wird
äußerlich dieselben Erscheinungen hervorbringen, aber nie zur Herstellung
von nach dem wahren Princip berechtigten Gesammtindividualitäten und
Völkerrechtszuständen führen.
3. Daß immer die Grundauffassung des menschlichen Wesens und
der Menschheitseinheit, wie sie zu verschiedenen Zeiten und innerhalb ver-
schiedener Völkersysteme herrscht, und bald principiell falsch aber doch nicht
ohne allen Zusatz von Wahrheit, oder principiell richtig aber doch nicht
ohne alle Beimischung von Jrrthum ist, für die Auffassung des absoluten
Wesens des Staats und für sein Verhältniß nach Außen, also zu den
gleichzeitigen Staaten, maßgebend sein müsse. Hieraus ergeben sich wie-
der die wichtigsten Folgesätze, namentlich:
a) Ein Völkerrechtssystem ist nur auf der Basis einer zwischen den
fraglichen Völkern in allen wesentlichen Punkten gemeinschaftlichen An-
schauung über das Wesen des Menschen und der Menschheit möglich.

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