Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 51 = 2.F. 15 (1907))

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W. v. Blume,

allem ergibt sich, daß mit „Treu und Glauben" hier nicht
operiert werden darf — es sei denn, daß in den sog.
„Grundsätzen von Treu und Glauben" der Richter einen Frei-
brief erhalten hätte, das für Recht zu erklären, was ihm billig
dünkt. Es handelt sich nicht um die Auslegung einer Willens-
erklärung (§ 157). Es handelt sich auch nicht um die gerechte
Abwägung von Recht und Pflicht in einem bestehenden Rechts-
verhältnis (§ 242). Sondern es handelt sich um die Frage, ob das
Allgemeininteresse der Verkehrssicherheit über das Einzelinteresse
des Antragstellers zu stellen ist. Ueber diese Frage entscheidet
das Gesetz, nicht „der Grundsatz von Treu und Glauben".
Da aber das Gesetz die Frage nicht ausdrücklich beantwortet
hat, so hat es sie stillschweigend verneint.

Einen ganz eigenartigen Weg zu dem ersehnten Ziele:
Ueberwälzung der Gefahr der versäumten Annahme auf den
Adressaten der Erklärung, glaubt I. B r e i t (a. a. O. S. 595)
gefunden zu haben. Er verwendet die in neuerer Zeit mehrfach
untersuchte Kategorie der „Kann-Rechte" (Rechte des recht-
lichen Könnens", „Gestaltungsrechte") und folgert so: Wer
seinem Gläubiger die Tür vor der Nase zuschlägt, um die
Kündigung des Darlehens nicht anhören zu müssen, wer
nicht dafür sorgt, daß eingeschriebene Briefe ihm zugehen
können, wer sich aus Vergeßlichkeit nicht an dem Orte vor-
findet, an dem er sich zur Annahme eines Briefes bereit er-
klärt hat, verletzt schuldhaft fremde „Kann-Rechte" und ist
nach ß 823 BGB. dafür haftbar.
Die Kategorie der „Kann-Rechte" in allen Ehren — aber
daß sie diese Verwendung finden würde, haben sich ihre
geistigen Väter sicher nicht träumen lassen!
Zu dem Begriff des Kann-Rechts hat die Beobachtung
geführt, daß außer den von der Rechtsordnung gewährleisteten

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