Versäumnis des Empfanges von Willenserklärungen.
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gnügt, die Aehnlichkeit zweier Tatbestände festzustellen und
daraufhin einen Analogieschluß zu ziehen, ohne den für beide
Tatbestände zutreffenden Obersatz aufzusuchen — ein Verfahren,
das unmethodisch und gefährlich ist. Aus dem erwähnten
Grunde läßt sich ebensowenig wie der § 162 der diesem eng
verwandte § 815 BGB. zur Erledigung unseres Falles ver-
werten. Dagegen bietet — was Habicht entgangen ist —
im Abs. 2 des § 530 BGB. sich eine Bestimmung dar, die
erheblich besser geeignet ist, auf den Fall der vorsätzlichen Ver-
hinderung des Zugehens einer Erklärung analog angewendet
zu werden.
Das Widerrufsrecht des Schenkers, das sich aus § 530
ergibt, erlischt regelmäßig mit dem Tode des Schenkers. Ist
aber ein Schenker, der widerrufsberechtigt war, durch den Be-
schenkten vorsätzlich und widerrechtlich am Widerrufe gehindert
worden, so steht den Erben des Schenkers das Widerrufs-
recht zu.
Hier regelt das Gesetzbuch einen Fall, wo die rechtzeitige
Abgabe einer Erklärung durch den, zu dessen Nachteil sie ge-
reichen würde, vorsätzlich und widerrechtlich verhindert wird.
Und zwar trifft es seine Bestimmung dahin, daß die Erklärung
nachgeholt werden kann — nicht etwa läßt es die verhinderte
Erklärung als geschehen gelten. Die Frage ist nun, ob diese
Bestimmung als Ausnahme zu betrachten ist, oder ob sie auf
jeden Fall der vorsätzlichen widerrechtlichen Verhinderung einer
Willenserklärung entsprechend angewendet werden kann.
Die Entscheidung hängt davon ab, ob besondere Gründe
es rechtfertigen, daß das Gesetz gerade in dem Falle des § 530
ein besonderes Mittel zur Bekämpfung des Unrechtes verwendet
hat, oder ob nicht vielmehr der Bestimmung des § 530 ein
Gedanke von allgemeinerer Bedeutung zu Grunde liegt. Das
letztere muß meiner Meinung nach angenommen werden.