32 von Mittelstaedt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
klarheit bewußt zu werden. Die Partei kann auch absichtlich das System
der Verwirrung des Richters verfolgen. Die Nothwendigkeit der schrift-
lichen Aufzeichnung des Antrages durchbricht dieses System; die Absicht
wird schwarz auf weiß urkundlich sesttzestellt.
Folgende Grundsätze sind für Me mündliche Verhandlung aufzu-
stellen:
a. Die Freiheit der Parteien und des Richters in der
mündlichen Verhandlung muß gewährleistet sein. Es leuchtet
zunächst ein, daß der mündliche Vortrag alles Lebens entbehren wrrM
wenn der Vortragende in Form oder Inhalt seines Vortrages gebunden
ist. Die Freiheit der Parteien allein kann den Wetteifer derselben, in
klarer und fachgemäßer Darstellung Hervorragendes zu leisten, erzeugen.
Die Partei verfolgt ihr Interesse und wird, je weniger sie durch
Schranken gehindert ist, desto mehr den Richter durch möglichst klare
Darstellung, durch möglichst überzeugende Schlußfolgerung für ihr In-
teresse zu gewinnen suchen. Die beiderseitigen gleich vollendeten Vor-
träge geben dem Richter das klarste Bild von der Verschiedenheit der
beiderseitigen Behauptungen und der beiderseitigen Anschauungen, und
machen ihn am vollständigsten auf dem Felde bekannt, durch welches
seine Entscheidung wandeln soll. Aber wenn das gelingen soll, muß
auch der Richter frei sein in der Aufnahme dessen, was die Partei ihm
vorzulegen bereit ist. Er muß nicht allein die Ausfüllung der Lücken
seiner Information Hu fordern berechtigt sein, sondern auch in der
Entscheidung über die Zulassung jeder zum Zwecke der Information
dienenden Thatsache freie Hand behalten.
Uns . dem Rechte der Parteien, das Material zu bestimmen, welches
sie dem Richter vorlegen wollen, folgt namentlich das Recht der Ein-
schränkung des im Vorverfahren gesammelten Materials. Ebenso wie
die Parteien durch gegenseitiges Einverständniß über faktische Richtig-
keit^ einer Thatsache dieselbe der faktischen Prüfung des Richters un-
zweifelhaft entziehen dürfen, so hat auch das Einverständniß der Par-
teien in Betreff der Nichtbeachtung einer Thatsache, dieselbe Wirkung
der Ausschließung dieser Thatsache von der richterlichen Berücksichtigung.
Dies Einverständniß der Parteien ist aber überall da vorhanden, wo
die Thatsache bewußter Weise von keiner Partei berührt wird.
Aus einem Kaufverträge wird die Uebergabe der verkauften Sache
gefordert. Der Verklagte vertheidigi sich mit vielen Einreden, aber die
Einrede, daß der Preis offenbar unter der Hälfte des Werthes sei, wird
nicht vorgebracht. Der Richter befragt die Parteien über diesen Punkt,
erhält aber keine Antwort. Der Grund ist der, daß der Preis in
Wahrheit ein höherer ist, als ihn der Vertrag angiebt; die Absicht der
Stempelkontravention, welche die Benennung des minderen Preises
motivrrt, wollen die Parteien nicht offenbaren. Der Richter kann den
Einwand der I^aosio enormis, welcher nicht gestellt ist, unmöglich be-
rücksichtigen.
Dieser Fall ist aber weit verschieden von dem Falle, wo die Partei
ein Faktum geltend macht, aber die zur Begründung desselben erforder-
lichen Behauptungen nicht vollständig aufstellt. In diesem Falle kann