Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit. 29
darüber auszusprechen, ob die Partei fehlerhaft angegriffen oder sich
fehlerhaft vertheidigt habe, dann freilich ist jede Information genügend;
wenn aber der Richter vielmehr dazu berufen ist, über das Bestehen
des Rechtsverhältnisses selbst ein Urtheil auszusprechen, so muß er die
zur Entstehung desselben notwendigen Requisite kennen, und wenn ihm
dieselben nicht vorgetragen sind, sie durch Fragen erforschen.
Der Kläger behauptet, durch Abtragung einer auf einem später
subhastirten Grundstücke bestehenden Hypothek in das Vorrecht dieser
Hypothek eingetreten zu sein. Der Richter weist die Klage ab, weil
die Zahlung das Erlöschen der persönlichen Forderung und damit zu-
gleich das Erlöschen der Hypothek als des accessorium zur Folge habe;
die Ausnahme des kr. 3 quae res pign. (20. 3), kr. 12 §. 8 qui potior,
in pign. (20. 4) und der const. 1. de his qui in prior, cred. locum
(8. 19) habe der Kläger nicht begründet 1 °). Zur Vollständigkeit der
Information des Richters möchte es gehört haben, daß derselbe durch
Befragen der Partei sich überzeugt hatte, ob de facto die Ausnahme
vorliege oder nicht.
Ein Bruder und eine Schwester haben folgenden Erbvertrag er-
richtet: „Wir haben seit dem Tode unserer Eltern gemeinschaftlich ge-
wirthschaftet, und verordnen, daß dieser unser hiermit für gemeinschaft-
lich erklärter Güterstock bis zum Tode des Letztlebenden zusammen blei-
ben und demnächst auf unsre Verwandten nach den Grundsätzen der
Jntestaterbfolge vererben soll." Die Schwester strrbt und der überlebende
Bruder testirt über sein elterliches Erbe zu Gunsten eines Brudersohnes.
Dieser Brudersohn wird nach dem Tode des überlebenden Bruders auf
Herausgabe und Theilung der auf Grund des Testamentes in Besitz
genommenen Zuwendung von seinen Miterben verklagt. Der Streit
dreht sich darum, ob der Erbvertrag das Erbvermögen und das errun-
gene Venüögen der contrahirenden Geschwister umfaßt habe, oder ob
derselbe sich nur auf das gemeinschaftlich errungene Vermögen beschränke?
Gründe für die eine und die andere Ansicht sind angeführt. Der Rich-
ter bemerkt: der Fall muß ja schon bei dem Tode der erstverstorbenen
Schwester von den Parteien behandelt worden sein; wenn sich der Erb-
vertrag nur über die erworbenen Güter verhielt, so war schon damals
die Erbschaft in die Erbgüter der Schwester eröffnet; wie ist es damals
gehalten? Die Frage war gewiß angemessener, als wenn der Richter
tm Urtheile bedauert hätte, daß die Parteien diesen Punkt unaufgeklärt
gelassen hätten.
Die Ausübung dieses Fragerechts garantirt ferner
2. die Sicherheit der Information. Durch die Fragen des
Richters wird die Partei bisweilen erst darüber informirt, welches
Mißverständniß sich zwischen sie und den Richter eingedrängt hat, und

'0) Wenn A dem B ein Darlehn zur Abtragung einer Hypothek unter der
Abrede giebt, daß für dies Darlehn die für die zu tilgende Forderung bestellte Hy-
pothek fortbestehen soll, so succedirt A in diese Hypothek.

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