Volltext: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

. ; und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit. . . 25
ausscheiden. Das Vorverfahren hat nicht den Zweck, den Richter zu
informiren. Abgesehen davon, daß der Streit noch gar nicht vor den
Richter gebracht, der Richter.noch von keiner Partei angerufen ist, also
prinzipmäßig mit der Vorbereitung der Parteien nichts zu thun hat,
ist auch jede Kenntnißnahme des Richters von dem Streite der Par-
teien nicht allein unter Umständen ein supsrüuum, weil derselbe ihm
vielleicht niemals vorgelegt werden wird, sondern sogar ein Hinderniß
für die Rechtsprechung. Daß die s. g. Prozeßleitung des Richters im
gemeinen und preußischen Prozesse eine falsche Parteistellung des Richters
erzeugt, setze ich als anerkannt voraus, und wende mich nur gegen die
Vorschrift der Niederlegung von Abschriften der gewechselten Partei-
schriften in der Gerichtsschreiberei. Der Zweck dieser vorläufigen In-
formation des Richters, die Vorbereitung desselben auf die mündliche
Verhandlung, beeinträchtigt die Unparteilichkeit des Richters. Wenn
der Richter schriftlich im Voraus bereits insormirt ist, so hat er sich
eine mehr oder weniger bestimmte Auffassung von der Sache gebildet,
welche allen Parteiausführungen gleichsam eine exeoxtio sententiae iam
conceptae entgegensetzt. Die mittelbare schriftliche Information siezt
also über die unmittelbare mündliche Information; die Wirkung der
- mündlichen Verhandlung ist gehemmt. Und wenn der in Preußen ohne-
hin an schriftliche Information gewöhnte Richter erst dieses auf Ein-
führung des alten schriftlichen Verfahrens gerichtete Mittel praktisch
erkannt hat, so werden auch die Parteien sich nicht mehr die meist
unfruchtbare Mühe geben, dem bereits informirten Richter das vorzu-
tragen, was derselbe nicht hören will und was seine Ueoerzeugung doch
nicht mehr ändert. Der Werth der Mündlichkeit ist alsdann verloren,
der Schwerpunkt liegt in den Schriftsätzen, die mündliche Verhandlung
ist ein unnützes Beiwerk. Auch als eine Brücke zum Uebergange in
die Mündlichkeit ist diese die Wirksamkeit der mündlichen Verhandlung
gefährdende Bestimmung darum wenig brauchbar, weil sie vielmehr
geeignet ist, die Einführung der mündlichen Form illusorisch zu machen.
Sehr bezeichnend und wahr ist der Ausspruch eines linksrheinischen
Anwaltes: „Man kann gar nicht behaupten, daß unser Verfahren von
der Mündlichkeit seinen Charakter hernimmt, in gewissem Sinne ist es
nicht einmal mündlich, sein Vorzug besteht darin, haß der Richter ohne
Dorgefaßte Meinung in die Sitzung kommt, sich dort insormirt und
auf Grund der ihm dort ertheilten Information entscheidet."
e. Die Freiheit der Parteien im Vorverfahren muß
gewährleistet sein. Eine Beschränkung der Freiheit der Partei
wirkt der Möglichkeit der vollständigen Partei - Information entgegen,
und jede Beschränkung der Information der Parteien hemmt die Infor-
mation des Richters.
Selbstverständlich ist es zunächst, daß ein Zwangs zu Parteier-
klärungen unzulässig ist, daß namentlich ein Schweigen über das ^Vor-
bringen des Gegners keine Annahme des Zugeständnisses begründen
kann. Selbstverständlich unrichtig und dem Zwecke des Vorverfahrens
widersprechend ist es, den Gegner in seinen Worten zu sangen: Aner-
kenntnisse und Zugeständnisse, welche in den Schriftsätzen des Vorver-

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