und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeil.
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Die Mitglieder eines Schöffengerichtes sind dem Inhaber einer
Hypothek verantwortlich, weil die verhypothecirten Grundstücke im Wider-
spruche mit dem Schöffengerichtsatteste nicht Eigenthum des Verpfänders,
sondern Muttergut seines Kindes erster Ehe waren. Der Inhaber der
Hypothek verfolgt das Kind erster Ehe mit der Hypothekarklage auf
Herausgabe der Grundstücke ^ur Distraktion des Pfandes. Die Schöffen
assistiren dem Kläger und führen aus, das dargeliehene Geld fei zum
Vortheil des Verklagten, zur Befreiung der in Ute befangenen Grund-
stücke von einer anderen gleich hohen Hypothek verwendet worden. Zn
der mündlichen Verhandlung wird dieses Faktum dahin erweitert, daß
der Vater, als gesetzlicher Vertreter seines minderjährigen Kindes, die
Güter zu des Kindes eignem Nutzen gültiger Weise verpfändet habe.
Verspätet kann dieses Faktum nicht sem, oenn der Verklagte mußte
diesen Charakter der Verpfändung bei dem geringsten Nachdenken selbst
finden.
Diese Beispiele zeigen den Unterschied der wörtlichen Festhaltung
der Schriftsätze des Vorverfahrens als Grundlage für die mündliche Ver-
handlung einerseits und der Benutzung derselben als Grundlage der
Information der Parteien andererseits. Es fragt sich aber: Welche
dieser verschiedenen Bedeutungen der Schriftsätze entspricht
der mündlichen Form des Verfahrens?
Wenn an die Schriftsätze des Vorverfahrens die Anforderung ge-
stellt wird, daß sie selbst die Grundlage der mündlichen Ver-
handlung sein sollen, alsdann sind eben nur sie die Quelle für die
richterliche Information; die Echtheit des Parteivortrages hängt davon
ab, ob derselbe mit den Schriftsätzen übereinstimmt; die Schriftsätze
haben dieselbe Bedeutung, wie im gemeinen und im preußischen Pro-
zesse; sie unterliegen der Silberstecherei, und machen die mündliche Ver-
handlung im Grunde Hu einer schriftlichen Verhandlung. Wenn da-
gegen an die Schriftsätze des Vorverfahrens vielmehr nur die An-
forderung gestellt wird, daß sie die Grundlage der Information
der Parteien für die mündliche Verhandlung bilden sollen, so
beruht der Parteivortrag in der mündlichen Verhandlung nicht äuf den
Schriftsätzen sondern auf der Information, welche aus den Schrift-
sätzen geschöpft wird; die Schriftsätze können nur in sofern in Betracht
kommen, als sie Nachweisen, daß eine Partei aus denselben die hin-
reichende Kenntniß des thatsächlichen Umfanges der mündlichen Ver-
handlung nicht habe erkennen können, daß ihr die Kenntniß von einem
Angriffe fehle, sie also keine Veranlassung zur Vorbereitung ihrer Ver-
theioigung aus dem Vorverfahren habe entnehmen können; bte mündlich«
Verhandlung ist an den Wortlaut der Schriftsätze nicht gebunden; dü
Silbenstecherei verschwindet aus dem Prozesse; die Verhandlung bleibt
eine mündliche Verhandlung.9)
9) In dem Aufsatze Bd. II. Nr. 14 dieser Zeitschrift wird der §. 367 des
preußischen Prozeßgesetzentwurfes getadelt, welcher lautet: „Wird das Dersäumniß-
urtheil beantragt, so hat das Gericht das in der Klage behufs Begründung des
Anspruches angeführte Sachverhaltniß, ingleichen die von dem Anwälte des