Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

20 von Mittelstaedt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
vergeblich bemüht, schafft dieser Grundsatz alle beide, die Chikane und
die Eventualwaxime 'ab , oder läßt doch nur die Bedeutung des Be-
griffes der Verspätung bestehen, daß die Verspätung einer Behauptung
einen Beweis mehr für die Chikane abgiebt. Fabelhafte Behauptungen
in Angemessener Zahl, für deren Beweis Wolken von testes nescientes
aufgesichrt sind, zu deren Bewahrheitung das Gericht mit Aufsuchung
nicht existirender Zeugen belästigt, der Gegner mit ungezählten Eides-
leistungen gequält wrrd, werden noch mehr den Stempel der Chikane
tragen, wenn sie obendrein verspätet sind.
Wir entscheiden uns also für den Grundsatz, daß dem Richter
in jedem konkreten Falle die Entscheidung darüber zu über-
lassen ist, ob ein verspätetes Vorbringen im Interesse der
Vollständigkeit des Sachverhaltes zuzulassen oder zur Ab-
wehr einer Beschränkung der Vertheidigung des Gegners
resp. zur Unterdrückung der Chikane auszuschließen sei. Und
man glaube ja nicht, daß solche Correctur der Eventualmaxime die Un-
ordnung fördern werde, denn die Parteien würden ihr Interesse schlecht
kennen, wenn sie den sicheren Weg für Einbringung erheblicher That-
sachen versäumen wollten, um sich der immerhin zweifelhaften richter-
lichen Entscheidung, zumal darüber, ob eine chikanöfe Zurückhaltung
vorliege, zu unterwerfen.
Nachdem nun bewiesen ist, daß die Eventualmaxime, insofern sie
alles nicht aus einer bestimmten Stufe des Prozesses vorgebrachte Streit-
material der Berücksichtigung entzieht, wenigstens nicht unentbehrlich ist,
wende ich mich zu dem Beweise des ferneren Satzes, daß die Eventual-
maxime, soweit sie überhaupt berechtigt ist, dem mündlichen Verfahren
keineswegs widerspricht, daß das mündliche Verfahren keineswegs die
ordnungslose Zerstreuung des Prozeßmaterials über den gaüzen Prozeß-
bedingt, und daß auch der Grundsatz der möglichst vollständigen In-
formation des Richters eine solche tumultuarische Verhandlung keines-
wegs voraussetzt; mit anderen Worten: daß es auch in einem münd-
lichen und einem auf möglichst vollständige Information
des Richters gerichteten Verfahren Abschnitte giebt, welche
ein Vorbringen als verspätet characterisiren.
:'r In der mündlichen Verhandlung selbst hat freilich die Eventual-
maxime keinen Platz. Abgesehen selbst davon, daß der unfruchtbare, fast
nie zu entscheidende Streit darüber, ob ein Faktum vor oder nach dem
anderen angeführt werden müsse und angeführt sei, der Verhandlung
den Todesstoß geben müßte, so würde auch die Freiheit der Partei voll-
ständig untergraben sein, wenn man ihr das Recht entziehen wollte, das
Material in ihrer Weise zu ordnen, dasselbe nach der von ihr im In-
teresse der Sicherheit und Klarheit der Information gewählten Reihen-
folge vorzutragen. Aber wenn selbst aus den Grenzen jedes
einzelnen Stadii des Prozesses die Eventualmaxime aus-
geschlossen ist, so folgt daraus noch keinesweges die Aus-
schließung des Begriffes der Verspätung aus dem gan-
zen Prozesse. Wenn ein bestimmtes Stadium des Prozesses für
die Sammlung des Materials bestimmt ist, so folgt daraus schon

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