Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit.

243

Söhne des Verklagten als Zeugen auf; die Söhne können und wollen kein
Zeugniß ablegen. Das einzige Rettungsmittel ist die EideSznschiebung
und der Verklagte leistet den Eid äs ignorantia ab, weil die Söhne
schlau genug sind, den Vater in schwurfähigem status zu erhalten. Was
hat der Richter aus diesem Eide für seine Ueberzeugung gewonnen?
Der Verklagte behauptet, daß der bevollmächtigte Agent des Klä-
gers ihm bei Kontrahirung seiner Schuld die ratenweise Berichtigung
derselben erlaubt habe. Der Agent des Klägers beschwört nun als
Zeuge, daß er weder die behauptete Zusage ertheilt habe, noch auch dazu
ermächtigt gewesen sei. Was soll nun die Ableistung des dem Kläger
darüber zugeschobenen Eides: „daß ihm von der angeblichen Zulage
seines Agenten nichts bekannt sei", für die Ueberzeugung des Richters
überhaupt noch bedeuten? 4)
Aber noch nicht genug: Inzwischen wird ein zweiter Posten fällig,
und dasselbe Gericht verhört wiederum denselben Zeugen über dasselbe
Beweisthema und nimmt denselben Eid zum zweiten Male ab. Und wenn
der Verklagte in der Exekutionsinstanz behauptet, daß aber seht wirk-
lich von dem nunmehr wirklich dazu bevollmächtigten Agenten die Zahlungs-
modalitäten ihm bewilligt seien, so wird der Richter in Preußen die
Eidesleistung noch zum dritten Male und überhaupt so oft verordnen,
als der Verklagte es will.
Der Eid kann auch das gerade Gegentheil von demjenigen sest-
stellen, was der Richter nach allen Umständen für wahr halten muß:
Ein Handwerksgeselle hatte die Tochter eines süddeutschen Meisters, bei
dem er auf der Wanderschaft in Arbeit stand, geschwängert. Fünfund-
zwanzig Jahre waren vergangen, als die Mutter den Vater ihres Kin-
des als Meister in einer norddeutschen Stadt ausfindig macht und den-
selben nicht etwa um Alimente, sondern nur um Anerkennung des Kin-
des bittet. Da aber der uneheliche Vater eine Frau hat, welche es als
eine absolute Unmöglichkeit festhält, daß ihr Mann sich früher einmal
vergangen haben könnte, so ist derselbe in der Lage, die Mutter seines
Kindes nicht zu kennen. Es kam zum Prozesse, in welchem die Klä-
gerin keine pekuniären Vortheile, sondern nur die Anerkennung der
Vaterschaft des Verklagten beanspruchte. Die Klägerin wies nach, daß
sie den Verklagten nur auf Grund seines Namens, seines Handwerkes
und seiner Erzählungen von der Heimath nach langen fruchtlosen »Be-
mühungen aufgefunden hatte; sie hatte auch keinen Grund, für ihren
Sohn einen beliebigen Vater einzufangen; die Aehnlichkeit des Vaters
und des erwachsenen Sohnes war überraschend; das Benehmen der
Klägerin, die ohne jede auf pekuniäre Vortheile gerichtete Abftcht mehr-
mals die weite Reise machte, die den Verklagten an alle Einzelheiten
ihres Umganges erinnerte, wirkte überzeugend; und am überzeugendsten
wirkte der Erlaß des dem Verklagten in Ermangelung jedes Beweis-
mittels zugeschobenen Eides, zu dessen Ableistung sich dieser bereits an-
schickte, und das Motiv der Klägerin zu diesem Erlasse, „den Vater

' 4) Daß der Richter den Eid abgenommen hat, halte ich für unrichtig, aber er

»an.

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer