Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

242 von MitLelstaedt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
verschieden, und der Richter ist zur Beantwortung der quaestio facti
berufen. Es erhellt, daß die Ablehnung eines Eidesantrages den Richter
in die Lage setzt, das Recht des Deferenten und die Gründe der Ab-
lehnung Zu prüfen, ferner zu prüfen, ob er die Eidesleistung überhaupt
und in welcher Norm er dieselbe billigt, und ob er dieselbe für über-
zeugend hält.
Die Wirksamkeit der Eideszuschiebung bleibt nach dieser Theorie
soweit bestehen, daß, wenn auch keine Partei zur Annahme oder Zurück-
schiebung des zugeschobenen Eides gezwungen werden darf, doch der
Richter die unmotivirte Ablehnung des gerechtfertigten Eidesantrages
für einen Beweis halten wird, dagegen bei genügender Motivirung der
Ablehnung und bei offenbarer Unerheblichkeit der Eidesleistung für seine
Ueberzeugung niemals zu offenbar ungerechten oder gar unmöglichen
Fiktionen gelangen wird. Nachstehende Beispiele werden den die Ueber-
zeugung des Richters fälschenden Erfolg der durch die Formel diktirten
Fiktion der Wahrheit oder Unwahrheit einer beschwornen resp. nicht be-
schwornen Thatsache Nachweisen.
Der Verklagte hat bei dem Kläger seine Haushaltungsbedürfnisse
viele Jahre lang entnommen und stets die Maaren in sein Äbrechnungs-
buch von dem Kläger eintragen lassen. Jetzt, nachdem der Verklagte
einem anderen Krämer seine Kundschaft zugewandt hat, wird derselbe
auf Zahlung eines alten Postens verklagt. Der Verklagte weist nach,
daß sein Abrechnungsbuch den Posten nicht enthält, erklärt übrigens, daß
er davon unmöglich eine Wissenschaft haben könne, und will den ihm über
den Empfang des Postens Zugeschobenen.Eid nicht schwören noch den-
selben zurückschieben. Nunmehr handelt es sich um den Beweis der
Behauptung des Verklagten, daß er, falls er den Posten erhalten, ihn
auch bezahlt habe. Der Verklagte schiebt den Eid darüber zu. Der
Kläger ralkulirt ganz richtig, daß der Verklagte, wenn er nicht einmal
weiß, ob er den Posten erhalten, noch weniger wissen kann, daß er ihn
bezahlt habe, und schiebt den Eid zurück, den der Kläger nicht leisten
kann. Welche Ueberzeugung hat nun der Richter aus zwei nicht ab-
geleisteten Eiden gewonnen? daß der Kläger den Verklagten geprellt
habe. Und wo ist die turpitudo, wo das Eingeständniß des Verklagten?
Dennoch muß der Richter den Verklagten verurtheilen.
Soll es nicht vielmehr dem Richter in diesem Falle freigestellt sein,
ans dem Inhalte des Abrechnungsbuches, verbunden mit der vom Ver-
klagten zu beeidigenden Thatsache, daß dasselbe dem Kläger selbst zur
Einschreibung der Bestellungen stets zur Disposition gestellt und daß
seit Jahren nie eine Differenz behauptet worden, eine vollständige Ueber-
zeugung zu schöpfen? Die nicht so gewissenhafte Partei macht regel-
mäßig den Schluß selbst: „Weil das Abrechnungsbuch keine Einschreibung
enthält, so ist die Forderung unrichtig" und beschwört diesen Schluß in
der Form der Verneinung ' des Fakti. An die Stelle der Logik des
Richters wird die falsche Logik der Partei gesetzt, dem Richter also ein
gefälschtes Material übergeben.
Ein Handelsmann läßt sein Geschäft durch seine minderjährigen
Söhne betreiben. Es entwickelt sich ein Prozeß; der Kläger fordert die

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