Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit.

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Parteien und welche er selbst auswählt, vollständig informiren läßt. So
nur kann der Richter Wächter des Rechtes bleiben.
In einem Prozesse hatten sämmtliche Sachverständige eine Maschine
zur Auspressung geformter Bleche für unbrauchbar erklärt; die bewährtesten
Schlossermeister, welche eine solche Maschine nie gesehen hatten, gaben ihr
klassisches Gutachten gegen den Kläger ab, welcher die Zahlung des Kauf-
preises verlangte. In der mündlichen Verhandlung bat der Anwalt des
Klägers um die Erlaubniß, die Maschine selbst und den Kläger selbst
als Sachverständigen den Richtern zu produziren. Das Richterkollegium
hatte Recht, als es, wiewohl ungläubig, diesem Anträge zustimmte und
in besonderer Sitzung die Maschine von dem dazu herbeigereisten Kläger
selbst aufbauen und vor den Augen des höchst erstaunten Verklagten mit
Leichtigkeit und zu seiner vollen Zufriedenheit arbeiten ließ.
Gleichfalls besondere Beachtung verdient die Eideszuschiebung.
Faktum ist, daß nicht selten die Ableistung oder Verweigerung eines
zugeschobenen Eides über den Beweis einer Thatsache entscheidet, obgleich
der Eid für die Information des Richters werthlos ist; sei es, daß,' wie
häufig bei Ignoranz- und Glaubenseiden der Fall ist, der Inhalt des
Eides das Beweisthema nicht deckt; sei es, daß der Schwörende keinen
Glauben verdient; sei es, daß der Richter die zu erweisende Thatsache
ganz abgesehen von der Eidesleistung bereits als wahr oder trotz der-
selben als unwahr erkennt.
Aber es fragt sich, ob die Ableistung oder Verweigerung des §u-
geschobenen Eides für die Ueberzeugung des Richters überhaupt eure
Bedeutung haben soll? Wenn die Eideszuschiebung Vergleichsnatur hat,
so entzieht ein Vergleich den Inhalt des Eides jeder richterlichen Kog-
nition, und es ist dann freilich gleichgültig, ob dieser Inhalt auf die
Ueberzeugung des Richters zu wirken angethan ist oder nicht. Die Kog-
nition des Richters über die Frage, ob ein Eid zu leisten sei, und
welche Wirksamkeit der Ableistung oder Verweigerung des Eides beizu-
legen sei, würde in diesem Falle sogar ein Eingriff des Richters in das
Recht der Parteien sein. Aber es fragt sich: Hat die Eideszuschiebung
und die Erklärung des Gegners auf dieselbe die Natur eines Vergleiches?
Daß unter Umständen dieser Charakter des Eides vorliegen kann,
ist nicht zu bezweifeln. Ob das der Fall, ist, ist quaestio facti. Wenn
aber die Partei mit Rücksicht darauf, daß ihr nach den Prozeßvorschriften
keine Wahl gelassen ist, als entweder zu schwören oder den Gegner
schwören zu lassen, sich zu dem Einen oder zu dem Anderen bequemt, oder
Beides verwirft und ihr Recht aufgiebt, so entspricht dieser Zwang
dem Begriffe eines Vergleiches nicht. Es ist nicht korrekt, ein durch
solchen Eid oder durch die Weigerung solchen Eides bekräftigtes Faktum
als ein vergleichsweise festgestelltes und darum der Kognition oes Richters
entzogenes Faktum,zu behandeln. Die auf Grund römischrechtlicher
Aussprüche in die Welt gesetzte Lehre von der Vergleichsnatur des jura-
mentum necessarium wird denn auch in der Theorie bestritten, und
-wenn die praktischen Konsequenzen dieses Bestreitens dürftig sind, so
lrdgt der Grund in der Herrschaft der Beweisregeln. In der That ist
nich^>viel Unterschied: ob der Erfolg der Eidesleistung resp. Eidesweige-

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