Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

13 von Mittelstaedt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
bestehen: In welchen Fällen ist die Ausschließung, in welchen
Fällen die Zulassung der novu bei Festhaltung des Grund-
satzes der möglichst vollständigen Uebergabe des Fakti an
den Richter und der Ausschließung der Chikane geboten?
Ein äußerlich erkennbares Merkmal, nach welchem die neuen Be-
hauptungen zu klassifiziren wären, tragen dieselben freilich nicht an sich.
Der Rechtsfall ist eben ein Stück Leben, das jeder Klassifizirung spottet.
Dafür sind aber auch die im Prozesse handelnden Faktoren keine Ma-
schinen, sondern Menschen. Der Richter wird die Frage, ob das novum
zuzulassen sei oder nicht, nach aus der Sache selbst sich ergebenden
Grundsätzen wohl zu beantworten wissen: Wenn beide Theile über
Zulassung einer Behauptung einig sind, so hat die Zulassung derselben,
ihre Erheblichkeit vorausgesetzt, selbstredend kein Bedenken. Erft bei
dem Widerspruche eines Theiles tritt überhaupt die richterliche Kognition
ein, denn der Richter ist nur zur Entscheidung eines bestehenden Streites
berufen. Seine Entscheidung wird der Regel nach, dem Zwecke des
Prozesses gemäß, auf die Zulassung jeder neuen Behauptung gerichtet
sein, welche zur Vervollständigung des Sachverhaltes dient. Unzweifel-
haft wird der Richter dasjenige novum zulassen, dessen Omission durch
die vorliegenden Verhältnisse bedingt war, oder dessen Omission die Arg-
list oder Schuld der der Zulassung widersprechenden Partei selbst ver-
anlaßt hat. Dagegen wird der Richter die Zulassung desjenigen ver-
späteten novum verweigern, dessen Zulassung entweder ein berechtigtes
Interesse des widersprechenden Theiles verletzt, oder als Begünstigung
der Chikane erscheint. Daß ein berechtigtes Interesse der widersprechen-
den Partei verletzt wird, hat diese Partei dem Richter darzulegen. Das
regelmäßige Interesse des Widersprechenden, durch Ausschluß der neuen
Behauptung, also durch Unterdrückung des Rechtes des Gegners, den
Prozeß zu gewinnen, ist unberechtigt. Wohl aber kann namentlich der
Kläger das berechtigte, höchst wesentliche Interesse der Beschleunigung
der Erlangung eines exekutorischen Titels haben. Es wird aber auch
die bisher beobachtete Art der Prozeßführung, die Qualität der neuen
Behauptung, die Art der Beweisführung von bedeutendem Einflüsse
auf die Entscheidung des Richters sein. Wenn beispielsweise der Ver-
klagte an einer Warenrechnung in vielen einzelnen minutiösen Monitis
den Betrag von wenigen Thalern'abgehandelt und eine mit dem defek-
tirten Betrage nicht im Verhältnisse stehende Beweisführung begehrt
hat, so wird der Richter dem Verklagten, der schließlich noch die Ein-
rede der Zahlung der ganzen Forderung vorschützt, in der Regel nicht
glauben können, daß er, der 5 Sgr. Abzug für Fracht nicht vergessen
hatte, den Einwand der Zahlung vergessen habe. — Die in einem
Prozesse aufgestellte Behauptung/ „daß innerhalb eines Vierteljahres
die Preise der Grundstücke in einer Gemarkung um 75 § des Werthes
gefallen seien," hatte schon, zumal in Ermangelung der Begründung
durch bewegende Ereignisse, einen starken Beigeschmack nach Chikane,
der sich aber dadurch vermehrte, daß die dafür laudirten Sachverstän-
digen Schuhmacher und Schneider aus fremden Bezirken, dazu noch
schwer erreichbar waren und eine ansehnliche Zahl ausmachten. Nicht

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer