Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

und das sogenannte Prinzip der Mündlichkeit. 17
Schulden wird in einem Prozesse das Vermögen seiner angeblichen
Frau in Anspruch genommen. Erst im Laufe des Prozesses entdeckt
sich, daß die angebliche Frau gar nicht seine Frau sein kann, weil er
noch mit seiner ersten Frau verheirathet ist. Soll nun die Verurthei-
lung der angeblichen Frau dennoch ausgesprochen werden, weil das
Faktum verspätet vorgebracht ist?
Das Faktum des Prozesses schreitet sogar voran und läßt sich
schon darum nicht ohne Verstoß gegen die Natur fixiren: Wenn oas
Recht der Erziehung eines Kindes Gegenstand eines Prozesses ist, so
wird der Tod des Kindes das Prozeßobjekt zerstören, obgleich das Fak-
tum, daß das Kind gestorben ist, wenn es sich nach Einleitung des
Prozesses ereignete, verspätet ist. — Nach Kölnischem Rechte ist der
Verkauf von Gütern ohne Zustimmung der Ehefrau des Verkäufers
ungültig. Wenn der Verkäufer aus einem bisher noch nicht von seiner
Ehefrau genehmigten Verkaufe auf Zahlung des Kaufpreises klagt, soll
da die nachträglich ertheilte Genehmigung der Ehefrau einsiußlos blei-
ben? — Wenn der Schuldner behauptet, bis zum Schlüsse des Jahres
Ausstand erhalten zu haben, und über den Prozeß das Jahr verläuft,
soll , da die nachträgliche Behauptung, daß auch der vom Schuldner
selbst beanspruchte Termin gleich wenig eingehalten sei, für Nichts gel-
ten und der Gläubiger am 1. März schwören, daß er nicht bis zum
verflossenen Jahresschlüsse Ausstand ertheilt habe?
Wir werden es den Freunden der Eventualmaxime nicht verargen,
wenn sie Angesichts einiger dieser Beispiele behaupten: „Zu diesen Äb-
surditäten führt aber unsere Eventualmaxime nicht." Doch führt die
Eventualmaxime zu diesen Konsequenzen. Der Formalismus der Even-
tualmaxime verlangt, daß das Leben wie eine Uhr still gestellt werde,
denn das Leben ist ein Feind des Formalismus und beider Herrschaft
unverträglich. Es ist selbstredend, daß die Praxis vor den äußersten
Absurditäten stehen bleibt, sich mit aller Macht gegen solche Konse-
quenzen sträubt. Sie hält sich auf einer Grenze, bis zu welcher sie alle
Konsequenzen noch durch die Phrase rechtfertigen zu können glaubt:
„daß urt Prozesse das formelle Recht im Gegensatz zum materiellen
Recht genüge." Daß aber die Praxis die äußersten Konsequenzen
von sich abschüttelt, kann unsere Beweisführung nicht berühren. Die
Beispiele beweisen wenigstens so viel, daß die Eventualmaxime einer
Korrektur bedarf, um ihren guten Ruf zu verdienen , daß dieselbe in
ihrer hergebrachten Gestalt geeignet ist, die Erreichung des Endzweckes
des Prozesses unmöglich zu machen.
Wenn wir erkennen, daß die Eventualmaxime die Vollständigkeit
der richterlichen Information beschränkt, so hat dieselbe, soweit sie das
thut, in dem auf Vollständigkeit der richterlichen Information gerichteten
Verfahren keine Stelle. Wenn die Eventualmaxime die Chikane abzu-
wehren geeignet ist, so ist sie, insofern sie das thut, berechtigt. Wenn
aber auch die Notwendigkeit der Einschränkung dieser Maxime auf-die
Abwehr der Chikane einleuchtet, so ist die Schwierigkeit der Auszeich-
nung der Fälle der Chikane noch nicht beseitigt. Es bleibt die Frage
Zeitschr. f. Gesetzgebung u. Rechtspflege. IE. 2

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