Full text: Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen (Bd. 3 (1869))

14 von Mittelstaedt: Die Form der Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Stufe, als sie in ihrem Zusammenwirken die Entstehung eines Rechts-
verhältnisses, oder die Wirkungslosigkeit eines solchen, oder die Auf-
hebung eines solchen begründen; —- oder insofern in einer Konkurrenz,
als die eine für die Eventualität des Nichtbeweises oder der Wirkungs-
losigkeit einer andern die Entstehung, respective Wirkungslosigkeit, Auf-
hebung, eines Rechtsverhältnisses begründen soll. Die sogenannte Even-
tualmaxime gebietet nun die gleichzeitige Geltendmachung aller dieser
Behauptungen, auch der für jebe Eventualität geltend zu machenden,
selbst der einander widersprechenden, *) auf derjenigen Stufe des Pro-
zesses, aus welcher der betreffende Angriff oder die betreffende Vertheidigung
m der durch Termine und Fristen fest bestimmten Ordnung des Ver-
fahrens zuerst möglich war. Die Ausführung dieses Gebotes wird durch
die Fiktion garantirt, daß alle nicht rechtzeitig vorgebrachten Thatsachen
überhaupt nicht vorgebracht seien.* * * * 5) Es müssen also in der Klage alle
den klägerischen Anspruch begründenden Thatsacben auf einmal behauptet
werden; in der Klagebeantwortung müssen alle gegen die Zulässigkeit
der Klage gerichteten, die Klagebehauptungen vernichtenden, ihre Wir-
kungslosigkeit begründenden, die Aufhebung der entstandenen Rechtsver-
hältnisse erzeugenden Thatsachen, auch die nur eventuell zur Geltung
kommenden, auf einmal vorgebracht werden; in der Replik sind ebenso
alle die Behauptungen der Klagebeantwortung, auch die eventuellen
Behauptungen derselben entkräftenden Thatsachen, und zwar die Prin-
zipalen wie die eventuellen Gegenbehauptungen, gleichzeitig aufzustellen rc.
Der Prozeß geht wie das Schicksal unaufhaltsam fort, seder Schritt ist
eine vollendete Thatsache. Alles, was unterwegs versäumt ist, bleibt un-
beachtet liegen.
Die Maxime war dem römischen und kanonischen Prozesse fremd.
Es war darum freilich möglich, daß der Verklagte eine große Menge
von Einreden successive geltend machte, und wenn auf Grund des
c. 12 X. de appell. (2. 28) der Grundsatz hinzutrat, daß jede Einrede
einzeln durch die Instanzen getrieben und der Prozeß immer wieder
mit einer neuen Einrede von vorn angefangen werden konnte, so war
die Gefahr der Verewigung des Prozesses nahe genug gerückt.6)

*) Sehr gewöhnlich ist die Behauptung, daß die Schuld gar nicht entstanden,
und dennoch erlassen, schließlich sogar bezahlt sein soll. Das ist eine Konsequenz
des Grundsatzes des formalen Prozesses, daß Alles Unwahrheit ist, was nicht ent-
weder zugestanden oder bewiesen ist, daß alle Behauptungen und Bestreitungen nicht
auf Wahrheit Anspruch machen, sondern nur daraus, den Beweis zu bestehen oder
nicht durch Beweis widerlegt zu werden.
B) Ich bezeichne in diesem Aufsatze mit dem Ausdrucke „Eventualmaxime" den
Grundsatz des Ausschlusses jeder nicht rechtzeitig vorgebrachten Behauptung, Rechts-
zuständigkeit, Beweisführung.
6) Die in Schmidts „Klagen und Einreden" aufgestellte Collektion der gerichts-
ablehnenden und verzögerlichen Einreden, exceptiones fori declinatoriae et dilato-
riae stellt den Unfug hinreichend in's Licht: Exceptio fori incompetentis, omissae
primae instantiae, praeventionis, litis pendentis, judicis suspecti s. recusationis,
judicis inhabilis; exceptio revocandi domum, inhabilitatis, deficientis legiti-
mationis ad causam, nondum praestitae cautionis pro reconventione et expen-
sis, contumaciae, justi impedimenti, plurium litisconsortium, exceptio illegiti-

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