Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 47 = 2.F. 11 (1904))

386

Heinrich Titze,

irgendwelche Bedenken vorhanden sein. Offenbar fürchtet man.
der Begriff des Zugehens könne durch die Verquickung mit
dem Erfordernis des Besitzerwerbes an Elastizität einbüßen,
d. b. die Fähigkeit verlieren, den Vorkommnissen des täglichen
Lebens in ihrer Mannigfaltigkeit gerecht zu werden 8 * * * * * * 15). Diese
Befürchtung ist, wie später gezeigt werden soll, unbegründet.
Wohl aber bekommt der Begriff des Zugehens, wenn man ihn
an den Besitzerwerb anlehnt, etwas mehr juristischen Charakter
er erhält einen festen Unterbau, der es erleichtert, zu einiger-
maßen sicheren und einander möglichst wenig widersprechenden
Entscheidungen aufzufteigen: denn es wird die Wirksamkeit der
Willenserklärung hier von einem Momente abhängig gemacht,
8. Februar 1902 (Entscheidungen, Bd. 50 S. 194; Jurist. Wochenschrift,
1902, Beil. 3 S. 210) einen Brief für „zugegangen" erklärt, sobald er ir
„verkehrsüblicher Art" in die tatsächliche Verfügungsgewalt des
Adressaten .... gelangt und ihm in dieser Weise die Möglichkeit der
Kenntnisnahme verschafft ist". — Die gemeinrechtliche Literatur, die einem
anders gearteten Besitzbegriff gegenüberstand, läßt sich hier natürlich nicht
heranziehen.
15) Darauf laufen in letzter Linie wohl auch die Besorgnisse von
Franz Leonhard a. a. O. hinaus. — Hölder a. a. O. führt gegen
die Heranziehung des Besitzbegriffes an, daß es Fälle gäbe, wo „die Sache
dem Empfänger überhaupt nicht als ein Gegenstand seiner Besitzergreifung,
sondern nur als ein Gegenstand seiner Besichtigung zukommen soll". Daß
es solche Fälle gibt, ist zweifellos, aber ebenso sicher dürste es sein, daß sie
für die hier zu gebende Begriffsbestimmung des Zugehens außer Betracht
zu bleiben haben. Denn es handelt sich bei ihnen nicht um eine schriftliche
Willensübermittelung im technischen Sinne. Diese erfolgt durch Aus-
händigung des Schriftstückes, und gerade weil sie in dieser Weise erfolgt,
das Schreiben also in den Händen des Adressaten verbleibt, steht das Ge-
setz hier von der Kenntnisnahme ab und verlegt den Beginn der rechts-
geschäftlichen Wirksamkeit schon in den Zeitpunkt des „Empfangs". Willens-
erklärungen aber, die durch bloßes Vorzeigen eines Schriftstückes über-
mittelt werden, ähneln den mündlich über brachten Erklärungen, da sie
ebensowenig wie diese eine Daseinsspur hinterlassen. Der Zeitpunkt ihres
Zugehens ist darum auch durchaus nach den für die Fälle der mündlichen
Willensübermittelung aufzufindenden Regeln zu beurteilen.

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer