Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 34 = N.F. 22 (1895))

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Ernst Immanuel Bekke

Die Gegenwart kann des Gewohnheitsrechts im w. S.
entrathen gerade so wenig wie der Gesetze. Dabei mag aus-
drücklich hervorgehoben werden, daß der Wirkungskreis der
Gewohnheiten bei uns heutzutage zweifellos beschränkter ist
als in Rom, zumal solange die auctoritas prudentium in
Blüthe stand. Unsere Praxis kann wohl Recht machen 1uri8
ciuilis (sagen wir dafür ,,Gesetzesrecht") adiuuandi gratia,
aber supplendi oder gar corrigendi gratia entweder gar
nicht oder doch nur ganz selten. Auch das Recht aus dem
neuen Gesetzbuch wird weiterer gesetzlichen Ergänzungen und
Korrekturen bedürftig sein, wo Praxis und andere Gewohn-
heitsbildungen nicht ausreichen, um es den Anforderungen der
neueren Zeit entsprechend zu erhalten; erst Spezialgesetze,
Novellen, später einmal, in vielleicht zwanzig bis dreißig
Jahren, eine Generalrevision. Man soll vor beiden keine
übertriebene Angst hegen, die dahin drängen würde, die Ein-
führung des neuen Gesetzbuchs zu vertagen, bis daß wir einen
derartiger Verbesserungen nicht mehr bedürftigen Entwurf zu
Stande gebracht, d. h. ad kalendas Graecas. Die Hochfluth
gesetzgeberischer Produktion, in der wir eben stehen, kann
naturgemäß sich nur allmählich verlaufen.
Einige Schwierigkeiten mag noch die Eingliederung des
„Hand wahre Hand" in das neue Recht verursachen. Die
Kommission hat bekanntlich (vgl. Re atz zu E. II 846 N. 3 A)
mit minimaler Majorität (9 zu 8) beschlossen, betreffs des
Glaubens des Erwerbers, dem Kläger (Vindikanten) den Be-
weis (folglich des bösen Glaubens seines Widerparts) aus-
zuhalsen. Aber auch hinsichts der äußeren Thatsachen ist die
Beweislastsrage nicht glatt zu beantworten. Vielleicht wäre
es historisch korrekt gewesen, das erwähnte Prinzip etwa in
der Gestalt aufzunehmen:
wenn der Eigenthümer seine Sache einem Dritten (Besitz-

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