Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 61 = 2.F. 25 (1912))

Die Relativität der Begriffe und ihre Begrenzung usw. 363
den Besitz, der in dieser Gliederung zum Ausdruck kommt oder
vielmehr hinter der vom Gesetz beliebten Begriffsstreckung und
Begriffspressung verschwindet.
Freilich bleibt diese begriffsjuristische Handhabung der
Besitzlehre nicht ungerächt. Keine Lehre ist heute so undurch-
sichtig und rechtspolitisch unbefriedigend, so widerspruchsvoll
die Jnteressenlage prüfen muß, daß er bei jeder Entscheidung eines
ihm vorliegenden Jnteressenkonfliktes sich vergewissern muß, ob die
Jnteressenlage dieselbe ist wie die vom Gesetzgeber bei der Lösung
typischer Jnteressenkonflikte im Rechte des Kaufs, der Miete, der
Gesellschaft, des Nachbarrechts, der Hypothek usw. vorausgesetzte.
Daß diese schwierige und viel Sorgfalt erfordernde Prüfung
der Jnteressenlage durch den Richter noch weit mehr, als durch-
gehends bisher geschieht, in den Mittelpunkt der richterlichen Tätig-
keit rücken muß, darüber habe ich mich so oft ausgesprochen, daß
ich auf Weiteres hier verzichten darf. (Vgl. noch das in der letzten
Note am Schluß der Abhandlung Gesagte.)
Es ist auch Manigk (OestCBl. Bd. 30, 1912, S. 713) nicht
zuzugeben, daß für die Jnteressenjurisprudenz nur Raum sei, wo
das Gesetz eine Lücke lasse. Für eine solche Beschränkung ist mir
kein Grund ersichtlich, und wenn Manigk sagt, wo das positive
Recht eine Norm gesetzt habe, da sei die Jnteressenlage bereits ge-
würdigt, so hindert das meines Erachtens nicht, daß der Richter die
doch gerade auch für ihn vom Gesetz gewürdigte Jnteressenlage nun
seinerseits sich daraufhin ansieht, ob sie dieselbe ist, wie die ihm zur
Entscheidung vorliegende.
Auf die von Gerl and (S. 856) geäußerte Besorgnis, die
Jnteressenjurisprudenz führe die Gefahr einseitiger Förderung der
Interessen gewisser Stände, ja die Gefahr der Klassenjustiz herbei,
will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Kann man, möchte ich
nur fragen, ernstlich daran denken, dem Richter, der doch Jn-
teressenwiderstreite schlichten soll, den Blick für die Jnteressenlage
selbst zu verbinden, weil ihre Betrachtung das unparteiische Urteil
eines deutschen Richters trüben könnte? Soll ein Verfahren der
Rechtsfindung zum System erhoben werden, das man nur als
Vogel-Strauß-Politik bezeichnen könnte?
Ueber das Verhältnis der Jnteressenjurisprudenz zur Freirechts-
bewegung vgl. neuestens Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung,
1912, S. 25 ff.

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