350
R. Müller-Erzbach,
Praxis des Lebens das von den Romanisten verspottete, von
den Germanisten in Stich gelassene Institut des Gesamt-
eigentums merkwürdigerweise doch nicht entbehren und die
Wissenschaft mußte sich am Ende wohl oder übel dazu ver-
stehen, dem in ihre sauber geordnete Begriffswelt gar nicht
passenden Wechselbalg Bürgerrecht zu gewähren. So wird
die über die realen Grundlagen des Rechts sich hinwegsetzende
Theorie von der tatsächlichen Entwicklung der Dinge überholt
und nicht zur Mehrung ihres Ansehens aus dem Sattel ge-
hoben. Es müssen eben auch die Rechtsbegriffe — darüber läßt
bereits die für die Theorie nicht eben glückliche Geschichte des
Eigentums keinen Zweifel — sich eine gewisse Relativität wahren,
wollen sie dem Leben, das immer neue Bedürfnisse entstehen
läßt, in allen Stücken gewachsen bleiben. So empfehlen sich
für Wissenschaft und Gesetz am meisten solche Begriffe, die
wie die Ausdrücke Interesse, Gefahr, höhere Gewalt nur etwas
Relatives aussagen. Und es spricht nicht dafür, daß man
über die Bedeutung der Begriffe, die doch das tägliche Hand-
werkszeug des Juristen ausmachen, ins Klare gekommen ist,
wenn man gerade diese Begriffe als zu unbestimmte von der
Sprache der Wissenschaft und der Gesetze hat ausschließen
wollen U-
Die erforderliche Bedingtheit und Elastizität ist von vorn-
herein eigen den Begriffen, die aus der gewöhnlichen
Umgangssprache in die Gesetze übernommen sind und
deren Hauptbaumaterial bilden.
Das gilt selbst für Ausdrücke, die auf den ersten Blick
als absolute und vollkommen eindeutige erscheinen, wie etwa
der Begriff des Menschen. Ist er doch nach deutschem
1) Protokolle der 1. Lesung des BGB. 1, 117; Verhandlungen
des 26. deutschen Juristentages 1, 29ff.; H. A. Fischer, JheringsJ.
51, 228.