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R. Müller-Erzbach,
abzuspalten und den verschiedensten wirtschaftlichen Bedürf-
nissen dienstbar zu machen. So ermöglichte die Teilbarkeit
des Eigentums die sozial unentbehrliche Aufteilung des Grund-
eigentums, das seit der fränkischen Periode sich immer mehr
in wenigen Händen zusammengeschlossen hatte und nun wieder
allmählich in volles und freies Eigentum weiter Volkskreise
übergeleitet wurde *).
Es ist für die Erkenntnis rechtswissenschaftlicher Begriffs-
bildung lehrreich, wie die formal durchbildete römische Doktrin
diesen in einem naiven Recht sich abspielenden Prozeß in ihre
Begriffswelt hinübernahm und in ihr zum Ausdruck zu bringen
suchte. In Wahrheit nämlich fehlte dem römischen Recht ein
Begriff, der den Aufteilungsvorgang umfaßt hätte. Da wurde
ein Irrtum von Nutzen und führte zur Bildung eines neuen
sich zum Ausdrucksmittel eignenden Begriffs. Denn nur auf
ein Mißverständnis der Quellen stützt sich die Lehre der
Glossatoren, die all den damaligen Inhabern mannigfacher
dinglicher Nutzungsrechte an Grundstücken ein dominium utile,
ein nutzbares, ein Untereigentum zusprachen und den Eigen-
tümer auf ein bloßes Ober- oder Grundeigentum beschränkten.
Sie lehrten, daß erst das dominium utile und das dominium
directum zusammen das volle Eigentum, jedes für sich un-
vollständiges Eigentum sein sollte 2).
Diese unbewußte Beugung und Erweiterung des römischen
Eigentumsbegriffes ermöglichte es, daß jene volkswirtschaftlich
unentbehrliche Aufteilung des Grundbesitzes ihren ungestörten
Fortgang nehmen konnte. Hätte man mit der Uebernahme
des absoluten und deshalb nicht passenden römischen Eigen-
tumsbegriffs Ernst gemacht, die meisten Güter wären ihren
1) Otto Gierte, Deutsches Privatrecht Bd. 2, 1905, §§ 120,
121, S. 347 ff., besonders 372.
2) Gierte, das. S. 370f.