Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 56 = 2.F. 20 (1910))

Anfechtung stillschweigender Willenserklärungen wegen Irrtums. 391
für die andere, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt;
entscheidend ist. ob der Gegner als verständig und billig
denkender Mensch das Borliegen einer Willenserklärung an-
nehmen durfte (und in welchem Sinne er sie bejahendenfalls
auffassen durfte).
Wir haben oben diese Formel gegen eine Reihe von Ein-
wänden verteidigt. Wenn aber in dieser Weise die Existenz
und Wirksamkeit der Willenserklärung ganz auf den Eindruck
abgestellt wird, den sie beim Gegner machen muß. so bleibt
noch zu prüfen, wie sich damit die Tatsache vereinigen läßt,
daß es nach herrschender Anschauung Willenserklärungen gibt,
die gar keinen Gegner haben. Die Prüfung dieses Bedenkens
haben wir zweckmäßig bis jetzt verschoben.
Die Scheidung der Willenserklärungen in empfangs-
bedürftige und nichtempfangsbedürftige ist in der Tat bisher
fast allgemein als feststehend angesehen. Demgemäß erfordert
nach der herrschenden Meinung *) § 130 BGB. nur für einen
Teil aller Willenserklärungen, daß sie dem anderen zugehen:
nämlich für die Willenserklärungen, „die einem anderen gegen-
über abzugeben sind", die sog. empfangsbedürftigen Willens-
erklärungen. Dagegen soll sich der § 130 BGB. auf die
Willenserklärungen nicht beziehen, die keinen bestimmten Er-
klärungsempfänger haben, also keinem anderen gegenüber ab-
zugeben sind; und ebenso sollen sich die sonstigen Normen, die
von der einem anderen gegenüber abzugebenden Willenserklärung
sprechen, auf sie nicht beziehen. Zu diesen nichtempfangs-
bedürftigen Willenserklärungen werden nun nicht bloß die
Willenserklärungen gezählt, die keinen bestimmten Empfänger
haben — wie Testament und Auslobung — sondern auch

i) Vergl. etwa Zitelmann, Allg. Teil l, 95; Biermann,
Bürgerl. Recht l, 138.

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