Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 56 = 2.F. 20 (1910))

Anfechtung stillschweigender Willenserklärungen wegen Irrtums. 353
gibt sich, daß in derartigen Fällen das Bertrauen des Gegners
auf einen noch so schlüssigen und vertrauenswürdigen Tat-
bestand schnöde getäuscht wird: der andere brauchte nur zu
beweisen, „er habe sich bei seinem Verhalten nichts gedacht"
— so wäre er frei. Dabei wird sein Verhalten dann oft noch
als grobe Fahrlässigkeit, als ganz unentschuldbare Zerstreutheit
zu bezeichnen sein! Daß das der Billigkeit und den Anforde-
rungen des heutigen Wirtschaftslebens nicht entsprechen würde,
ist klar. In der Tat hat auch nie ein Theoretiker - so wenig
wie die Praxis — dies zu behaupten unternommen. Auch
diejenigen Theoretiker, die in solchen Fällen die Konstruktion
stillschweigender Willenserklärungen auf das schärfste be-
kämpfen Z, tragen doch kein Bedenken, denjenigen, der ein
schlüssiges Verhalten beobachtet hat, dafür haftbar zu machen.
Aber die Art, wie sie eine derartige Haftung konstruieren,
kann nicht befriedigen.
Entweder stellt man es einfach als feststehende Tatsache
hin, daß unter Umständen die Folgen einer Willenserklärung
eintreten sollen, obwohl kein Kundgebungszweck vorliegt. So
operierten im gemeinen Recht zumeist diejenigen Theoretiker,
die prinzipiell Anhänger der Willenstheorie waren, aber doch
sich nicht den Anforderungen des Verkehrs entziehen mochten.
Nicht viel besser ist meist die Begründung der gerichtlichen
Entscheidungen. Daß die Urteilsgründe — es handelt sich
häufig um Fälle aus dem Handelsverkehr — damit argumen-
tieren, nach Z 346 HGB. sollten für die Bedeutung von
Handlungen oder Unterlassungen die im Handelsverkehr
geltenden Gebräuche oder Gewohnheiten in Betracht gezogen
werden, führt schwerlich weiter. Diese Vorschrift ist nicht mehr
i) Bergt, etwa Bülow, ArchCivPrax. 62, 82 Anm. 66; Rosen-
berg, Slellvertretung im Prozeß S. 36; Schloßmann, Die Stellver-
tretung 2, 508 ff.

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