Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 56 = 2.F. 20 (1910))

Sachmängel beim Kauf.

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formulierten Distinktionen erkennen. Diese Distinktionen sind
nicht Tatbestände von wirklicher Rechtsverschiedenheit, sondern
nur kasuistische Beschreibungen verschiedener Erscheinungsformen
eines und desselben Tatbestandes, den man zusammensassend
als „die nach dem Vertrage vorausgesetzte Beschaffenheit" be-
zeichnen kann. Die im § 459 enthaltene Teilung in vier Gruppen
ist allerdings historisch überliefert; hier wie so oft hat sich das
Recht an der Kasuistik entwickelt. Die überlieferte Kasuistik
hat aber ihren Zweck erfüllt und wird entbehrlich, sobald man
das ihr zugrunde liegende Prinzip erkannt hat und demgemäß
zu einer einheitlichen Formulierung des gesamten Tatbestandes
gelangen kann.
4) Wie es nun gar nicht anders sein kann, vermag eine
kasuistische Beschreibung des Tatbestandes, wie sie der § 459
enthält, den wirklichen Umfang der Gewährleistung auch nicht
zu erschöpfen. Es bleiben Lücken, die die Wissenschaft und die
Rechtsprechung durch Fiktionen auszufüllen genötigt sind. Eine
solche Fiktion ist die in der Wissenschaft, noch vielmehr aber
in der Praxis allgemein anerkannte „stillschweigende Zusiche-
rung" Z. Ich kaufe in einem Goldwarengeschäft eine Kette zu
einem für eine goldene Kette angemessenen Preise, es stellt sich
aber heraus, daß die Kette nur vergoldet ist! Nirgends wird
bezweifelt, daß ich Gewährleistung fordern kann, und doch trifft
keine der Voraussetzungen des § 459 zu. Ein „Fehler" im
Sinne des § 459 Abs. 1 liegt nicht vor, denn eine vergoldete
Kette ist keine „fehlerhafte" Kette. Auch „zugesichert" ist die
Echtheit nicht; die Annahme einer stillschweigenden Zusicherung
läuft dem objektiven Sachverhalt direkt zuwider; die „Aus-
legung" der Verträge kann unmöglich so weit gehen, eine nicht
zugesicherte Eigenschaft als zugesichert zu erklären. Was vor-

1) Schloßmann, a. a. O. S. 53; Lenel, ArchCivPrax. 79, 104.

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