Die richterliche Rechtsfindung auf Grund des Rechtssatzes. 25
daß die Fortschritte der Technik eine neuerliche Jnteressen-
abwägung fordern. Da der Entwurf eine solche nicht ent-
hält, so hätte man ihn auch nicht so auffassen dürfen, als
ob er sie enthalten würde: seine Worte müßten ein-
schränkend ausgelegt werden. Erst nachdem Gierke darauf
aufmerksam gemacht hatte, wurde der Jnteressenkreis des
Eigentümers gegenüber dem des Tunnelbohrers und des
Luftschiffers abgewogen und dem Eigentümer im Bürger-
lichen Gesetzbuch ausdrücklich der rechtliche Schutz versagt.
Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das
Reichsgericht die Verurteilung einer Bäuerin, die ihrer
Tochter die landesübliche Probenacht mit dem Bräutigam
gestattete, wegen Kuppelei, als zu Recht bestehend, bestätigte,
wurde das von der öffentlichen Meinung in Deutschland
heftig bekämpft, zumal mit Hinweis darauf, daß die Kuppelei
eine der zwei strafbaren Handlungen ist, bei denen nach dem
Strafgesetze der Verlust der Ehrenrechte bei der Verurteilung
unbedingt ausgesprochen werden müsse. Das ist eine richtige
Deutung des Gesetzes aus den Gedankengängen des Gesetz-
gebers und den gesellschaftlichen Zusammenhängen. Zum
Schutze der gesellschaftlichen Interessen gegen strafbare An-
griffe ist nach den Grundsätzen des deutschen Strafrechts die
Hauptstrafe da; der Verlust der Ehrenrechte soll darüber
hinaus als Nebenstrafe verhängt werden, um aus Anlaß
von Straftaten aus ehrloser Gesinnung nicht nur das be-
sondere gesellschaftliche Interesse vor dem Angriff, sondern
auch die Gesellschaft vor dem ehrlosen Täter zu schützen.
Da der Gesetzgeber mit der Strafe der Kuppelei unter allen
Umständen den Verlust der Ehrenrechte verbunden hat, so
dachte er offenbar nicht an eine Tat, die, wie die Gestattung
der Probenacht, im Einklänge mit den sittlichen Anschau-
ungen des Kreises, dem der Täter angehört, nicht von einer