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K. Schneider,
wo es ausnahmsweise nach § 157 geschehen darf, hat
der Richter in erster Linie nach Treu und Glauben zu ent-
scheiden und braucht eine Verkehrssitte je nach Lage des Falles
dabei nicht zu berücksichtigen, wie er denn ja auch seine Ent-
scheidung finden muß, wo solche Verkehrssitte überall nicht be-
sieht, wie z. B. in dem lehrreichen Falle des kr. 4, § 2 äs
äoli malt sx6. Niemals aber ist umgekehrt der Richter einer
Prüfung nach Treu und Glauben überhoben, .wo eine Ver-
kehrssitte besteht.
Wäre die Kraft einer Verkehrssitte größer, so wäre in
der Tat nicht abzusehen, weshalb das Gesetz sich nicht die Aus-
stellung von abänderlichen Sätzen ersparte; weshalb man z. B.
im Versicherungsvertragsgesetze nicht davon absah, da die ent-
sprechenden Verkehrssitten ja durchweg schon bestanden.
Für die Praxis ist der Unterschied zwischen meiner und
der herschenden Ansicht freilich meist von geringerem Belang.
Denn regelmäßig kennen beide Beteiligte die Verkehrssitte;
und dann darf allerdings unbedenklich angenommen werden,
daß sie Teil ihrer bewußten Entschließung sei und
deshalb dem abänderlichen Rechtssatze vorgehe. Bei manchen
heftigen Kämpfen in der Rechtswissenschaft ist das ja — man
darf sagen: glücklicherweise — ebenso ; immerhin kann die be-
kämpfte Ansicht gelegentlich doch zu empfindlichen Fehlent-
scheidungen führen! Das klarlegen zu wollen, damit bescheidet
sich diese Erörterung.
Es darf übrigens folgendes bei alledem nicht übersehen
werden. Bei Feststellung des Sinnes einer gesetzlichen oder
vertraglichen Erklärung, also bei der Auslegung, die ich
scharf von der ihr folgenden Anwendung auf den Streitfall
trenne, ist es allerdings unumgänglich, dem Ortsgebrauche
einen ausschlagenden Einfluß einzuräumen. Es handelt sich
dabei aber um keine Verkehrs-, sondern eine Sprachsitte,
also nicht eigentlich um etwas Rechtliches, dem man also auch