Abänderliches Recht und VerkehrSsttte.
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dividualrechtsverletzung durch unberechtigte Abnahme einer Toten-
maske, RGZ. 45, 174), oder nicht anzuwenden, obwohl er
sich darauf erstreckt (interpretatio restrictiva —, bei „Um-
drehung" der Beweislast z. B.). Es fragt sich, ob der durch
die eigentliche Auslegung gewonnene Sinn entweder lücken-
haft ist, also überhaupt keine Norm hergibt, die sich auf den
Streitfall anwenden ließe (§ 242), oder nur zu kurz oder
nur zu lang ist, um als Maßstab für den zu bemesfenden
Sachverhalt zu dienen (§ 157). Der Sinn der Erklärung in
Gesetz oder Vertrag ist vielleicht klar; aber ihr Zweck, ihre
Absicht, vom Gesichtspunkte des § 157 betrachtet, will offenbar
etwas anderes!
In beiden Fällen ist zu entscheiden nach Treu und Glauben,
d. h. unter sorgfältiger Abwägung der jeweilig sich einander
gegenüberstehenden Interessen, wie jetzt auch K i ß a. a. O. vor-
trefflich ausführt; jedoch unter Rücksicht, aber auch nur
„unter Rücksicht" auf die Verkehrssitte, die also für diese
Abwägung eine Leitregel, keinen gebundenen Weg abgeben
soll. Von einem Zwang, sie anzuwenden, ist selbst auf diesem
sehr begrenzten Gebiete nicht die Rede!
Zuzugeben ist nun freilich, daß der Fall der ausdehnenden
Rechtsanwendung nach § 157 dem einer ergänzenden Rechts-
anwendung nach § 242 nahekommen kann und so zu Ver-
wechslungen Anlaß gibt, die man aber doch grundsätzlich ver-
meiden jollte. Ferner, daß bei der interpretatio restrictiva
nach § 157 das gesetzte Recht unter anderem auch entsprechend
einer Verkehrssitte zurechtgerückt und berichtigt werden, also
gegebenenfalls ein abänderlicher, wie ein zwingender Rechtssatz
beiseite gesetzt werden darf.
Daß aber im übrigen und etwa ganz allgemein der
Richter sich auf Grund einer Verkehrssitte über gesetztes Recht
hinwegsetzen dürfe, ist im Gesetze nicht angeordnet. Und selbst