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Fritz Litten,
so müßten die sorgfältigen Erwägungen der römischen Juristen
über die Voraussetzungen der actio de pauperie — insoweit sie
nicht lediglich die Verneinung aquillischer Haftung feststellen —
völlig müßig erscheinen. Denn wo sie nicht vorlägen, wo
also das Tier nicht commota keritate geschadet hätte, griffe
die actio de pastu ein, d. h. es wäre auch dann praktisch
genau das gleiche Resultat erzielt.
Jene ganzen Distinktionen wären also lediglich theoreti-
sierender Natur, und daß man solche angestellt hätte, ohne
hierbei der actio de pa8lu auch nur Erwähnung zu tun, wäre
dem Wesen der genialen römischen Praktiker so unähnlich,
daß dies eben als ganz und gar unwahrscheinlich gelten muß.
Nach alledem wird man also in der actio de pa8lu einen
spezialen Rechtsbehelf, im wesentlichen zu Gunsten des
römischen Bauern, zu erblicken haben — was bei der
Zeit, aus welcher die Bestimmung stammt, nicht wunder-
nehmen kann.
Der oben angestellten systematischen Klassifizierung ist
daher folgendes im Punkte II. 2 hinzuzufügen:
„Ausnahmsweise wird jedoch auch, ohne daß sich in
der Tierestat eine spezifische Tiergefahr realisiert und ohne
daß schuldhafte menschliche Mitwirkung in Frage kommt,
gehaftet, und zwar noxal von dem Eigentümer des
Tieres, falls dieses auf fremdem Grund und
Boden Bodenerzeugnisse abgeweidet hat (actio
de pastu)."
Die eingangs gestellte Frage, nach welchen Prinzipien im
justinianischen Rechte die Haftung für Tierschäden geregelt,
und wie insbesondere das Verhältnis der aquillischen zur
noxalen Haftung gewesen sei, ist damit beantwortet.