Full text: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Bd. 46 = 2.F. 10 (1904))

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Erich Danz,

Treu und Glauben basierten Auslegungsnormen nicht dazu
dienen könnten, ein in Wahrheit vorhandenes, wenngleich ver-
decktes Mißverständnis hinweg zu interpretieren
und eine Einigung anzunehmen, indem die eine Partei einem
Vertragsinhalte unterworfen werde, den sie nicht gewollt habe.
Diese Bedenken sind aber nicht gerechtfertigt. Die Feststellung
der Bedeutung der Vertragsworte im Wege der Auslegung
hat allerdings, „wie Treu und Glauben es erfordern" (§ 157
B.G.B.), zu geschehen; das heißt aber nicht, daß damit die
eine sowohl wie die andere Vertragspartei das Recht erhalte,
daß der konkrete Vertrag gerade in ihrem Sinne ausgelegt, und
dem Vertrag ein diesem entsprechender Inhalt vom Richter ge-
geben werde; denn das wäre ja selbstverständlich unmöglich,
da jede Partei, wenn es sich um einen Streit um die Aus-
legung des Vertrages handelt, eine von der Bedeutung, welche
die andere Partei den Vertragsworten beilegt, abweichende Be-
deutung behauptet.
Die Vorschrift des B.G.B., daß bei der Auslegung der
Rechtsgeschäfte Treu und Glauben berücksichtigt werden sollen,
bezweckt auch nicht, den einzelnen Vertragskontrahenten eine
Sicherheit dafür zu geben, daß die Bedeutung den Vertrags-
worten gegeben wird, welche der Kontrahent ihnen bei-
gelegt hat, sondern sie soll ihm dagegen Schutz gewähren, daß
die objektive Bedeutung der Vertragsworte vom Richter an-
genommen wird, während der andere Dertragsteil
aus den begleitenden Umständen ersehen mußte,
daß der Erklärende den Worten eine andere Bedeutung als die
objektive beimaß. Nach dem Prinzip von Treu und Glauben
hat dann der Richter diese letztere Bedeutung für den kon-
kreten Vertrag als maßgebende anzunehmen. Wenn z. B. in
dem ersten Beispiel die verkehrsübliche Bedeutung eines
„Stadthauses" die ist, daß darunter ein in der inneren Stadt
gelegenes Haus verstanden wird, so darf der Richter diese Be-

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