Stellvertretung und Vollmacht.
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Worauf beruht nun die besondere Stellung, die die
römischen Juristen dem so verstandenen Prokurator und dem
Vormund in der Lehre vom Besitzerwerb zuweisen? Eines
spielt sicher dabei eine Rolle, das Moment, das wir eben mit
Bezug aus den Prokurator hervorgehoben haben: beide sind
ständige Wirthschaftsorgane der von ihnen vertretenen Per-
sonen. Aber ich glaube nicht, daß dies den Römern schon
für sich allein ausschlaggebend war; es machen sich vielmehr
sowohl für den Prokurator wie für den Vormund noch be-
sondere Erwägungen geltend.
Sch loh mann, der im Uebrigen um die Feststellung
des Prokuratorenbegriffs unserer Stellen wesentliche Verdienste
hat, sieht in dem Prokurator ein bloßes Faktotum, einen
bloßen Vertrauensmann, der von seinem Herrn zwar wohl
Aufträge erhalten könne, an sich aber zu ihm nur in that-
sächlicher, nicht aber in rechtlicher Beziehung stehe. Ich halte
diese Begriffsbestimmung mit der herrschenden Meinung für
unhaltbar. Der Prokurator war gewiß als solcher schon ein
Beauftragter *), aber er war zugleich noch etwas Anderes: er
war vermöge der Natur seines Auftrags ein Angestellter, Be-
diensteter, Untergebener seines Dominus, von dem Gehorsam
für dessen Anordnungen erwartet wurde. Seiner Lebens-
stellung nach war er bekanntlich meistens ein Freigelassener,
und möglicher Weise beruht seine besondere Behandlung in
der Besitzlehre historisch gerade darauf, daß man es natürlich
fand, den sreigelaffenen Prokurator, der vielleicht als solcher
nur die Geschäftsverwaltung fortsetzte, die er schon als Sklave
für den Herrn besorgt hatte, in Bezug auf den Besitzerwerb
in gewissem Umfang gleichen Grundsätzen unterworfen bleiben
zu lassen wie den Sklaven^). Sei dem, wie ihm wolle, das
1) Bgl. namentlich Pininski, a. a. £>. Bd. 2 S. 220 N. 3.
2) Bgl. Kniep, Vacua possessio, Bd. 1 S. 214.