152
Karl Adler,
geneigt sind, die Thatfrage, quae etiam prudentissimos fallit,
den mit Laien besetzten Bänken unserer Gerichte zu überlassen,
die Rechtsfrage aber den gelehrten Bänken vorzubehalten.
Es wird sich zeigen, daß die falsche Lehre um eines rich-
tigen Kernes willen ausgestellt, beibehalten und in einer ganz
eigenthümlichen Weise durch Ausnahmen befestigt — d. h.
in diesem Falle: erträglich gestaltet worden ist.
II. Grundlegung der richtigen Lehre.
8 2.
Wir stellen der herrschenden Anschauung folgende Sätze
entgegen, welche zunächst für sich selbst sprechen sollen.
Zwischen Rechts- und Thatirrthum besteht kein Gegensatz
bezüglich der Entschuldbarkeit. — Keine Ausnahme hiervon
bildet der selbstverständliche Satz, daß ein Rechtssatz auch auf
denjenigen angewendet wird, welcher denselben nicht kennt oder
verkennt. In diesem Sinne kann man sagen: Der Irr-
thum über das Recht vermag dessen Anwendung
nicht abzuwenden.
Der Grund hiervon liegt aber in der Regel (s. unten
§11) nicht darin, daß das Recht fordert, daß wir es kennen *),
sondern darin, daß es dies nicht fordert, noch voraussetzt.
1) Vielmehr dürfen wir vom Recht fordern, daß wir es nicht zu
kennen brauchen. Als Erste heben diesen Punkt Pf aff und Hof mann
hervor, insbes. S. 151: „Es besteht keine selbständige Verpflichtung des-
jenigen, den das Gesetz angeht, von demselben Kenntniß zu nehmen, son-
dern höchstens gegen dasselbe nicht zu verstoßen, und dieser wird schon
dadurch genügt, daß man selbst ohne Kenntniß von dem Inhalt desselben
in Gemäßheit seiner Vorschriften handelt; noch viel weniger kann von
einer Verpflichtung Jedermanns, alle Gesetze des Staates, auch diejenigen,
die auf den Betreffenden keine Anwendung leiden, zu kennen, die
Rede sein."