Full text: Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht (Bd. 8 (1875))

v. Kräwel: Entwurf der Civilprozeßordnung von 1874. 653
such, die Zulässigkeit des neuen Vorbringens allgemein auf den Fall des
Nachweises einer unverschuldeten Versäumniß zu beschränken — Württem-
berg Art. 652, 717, hannoverscher Entwurf §§ 582, 589, sächsischer
Entwurf § 998 — muß erhebliche Verwickelungen des Verfahrens zur -
Folge haben".
Diese. Neuerung, welche der Entwurf einführen will, würde aber
eine Verschlechterung unseres bisherigen Verfahrens sein. Zunächst hat
man nicht erwogen, daß die Frist zur Einlegung des Einspruchs nach
§ 294 des Entwurfs nur zwei Wochen beträgt, während die Berufungs-
frist nach § 457 einen Monat dauert. Man nimmt sonach dem wegen
Versäumniß Verurtheilten einen Theil der Frist.
Es liegt aber auch nicht im öffentlichen Interesse, daß jeder
Prozeß schon in erster Instanz contradictorisch verhandelt werde. Der
Prozeß soll doch nur die Entscheidung auf dem kürzesten und dem
Interesse der Parteien entsprechenden Wege herbeiführen. Läßt
also der Säumige die in erster Instanz zu seinen Ungunsten ergangene
Entscheidung als Erkenntniß erster Instanz gelten und zieht er es vor,
die Sache gleich in der zweiten Instanz zur Entscheidung zu bringen,
so sieht man nicht ein, warum er im öffentlichen Interesse gezwun-
gen werden soll, den Prozeß durch Einspruch in die erste Instanz zu-
rück zu versetzen. Noch weniger liegt dies im Interesse des Klägers,
weil durch diesen Zwang die endgültige Entscheidung in immer weitere
Ferne gerückt wird.
Der Theoretiker irrt aber auch, wenn er glaubt, daß in der
Praxis große Schwierigkeiten daraus entstehen, wenn erst in der zweiten
Instanz der Prozeß contradictorisch verhandelt wird. Auch im preußi-
schen Prozesse ist nach § 31 der Verordnung vom 21. Juli 1846 die
Restitution gegen Contumacialerkenntnisse zulässig, ohne daß erhebliche
Hinderungsgründe anzugeben oder zu bescheinigen sind. Dennoch kommt
es sehr häufig vor, daß gegen Versäumnißurtheile gleich appellirt wird.
Diese Fälle sind, wie die tägliche Erfahrung lehrt, keineswegs so
schwierig, daß um deshalb diese Neuerung nöthig wäre. Somit fehlt
es an jedem wirklich practischen Bedürfnisse, die Freiheit der Parteien
nach Maßgabe des besprochenen Paragraphen zu beschränken.
Wenn ferner im 2. Absatz des § 454 von einem „dem Einsprüche
nicht unterliegenden Versäumnißurtheil" die Rede ist, so weiß man nicht,
welche Versäumnißurtheile damit gemeint sein sollen, da nach §293
des Entwurfs jedes Versäumnißurtheil dem Einsprüche unterliegt.

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