Full text: Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht (Bd. 8 (1875))

388 , Pfizer: Der RechlSgrnnd.
gesetzlicher Fiktion, so soll damit nur gesagt sein, die Nichtigkeit habe
hier ihren Grund nicht in dem Mangel der Willensfreiheit, der Fähig-
keit, nach Gründen zu handeln; auch der Verbrecher handelt nach
Gründen, und insofern vernünftig; weil aber sein Wille ein unsittlicher
ist, so spricht das Gesetz seinen Erzeugnissen jede rechtliche Wirkung
ab; damit ist bereits die Grenze bezeichnet, innerhalb welcher sich der
Gesetzgeber bei der Androhung der Nichtigkeit zu halten hat: nur
diejenigen Handlungen sollen für nichtig erklärt werden, welche unter
allen Umständen unerlaubt, schlechthin unsittlich sind. Wer eine fremde
Sache in Besitz nimmt, um sie sich anzueignen, begeht eine unter allen
Umständen unsittliche Handlung; er will zwar Cigenthümer der Sache
werden und unterwirft sie durch die That seiner Herrschaft, allein das
Gesetz versagt diesem Willen seine Anerkennung und erklärt seine -
That für nichtig. Wenn dagegen Jemand durch gefährliche Drohungen
einen Andern nöthigt, einen Tauschvertrag mit ihm abzuschließen,
etwa seine goldene Uhr für eine silberne wegzugeben, und wenn dieser
Tauschvertrag sofort vollzogen wird, so ist zwar der durch Drohworte
geübte Zwang, nicht aber die durch denselben veranlaßte Thal un-
sittlich, denn weder, daß der Genöthigte seine goldene Uhr weggiebt,
noch daß der Nöthigende das ihm Gegebene annimmt, ist unsittlich;
unsittlich ist nur das Wegnehmen; der Nöthigende wird daher Eigen-
thümer der goldenen Uhr, er wird es selbst dann, wenn er dem
Genöthigten nichts dafür giebt, wenn dieser ihm die Uhr gezwungen
schenkt, denn in demselben Sinn, in welchem man von der Schenkung
als einem Rechtsgeschäft redet, kann auch von einer erzwungenen
Schenkung die Rede sein, obwohl nach gemeinem Sprachgebrauch die
Begriffe Zwang und Schenkung einander ausschließen; soviel ist
gewiß, daß nach gemeinem Recht derjenige, welcher durch Erpressung
eine fremde Sache vom Cigenthümer sich verschafft, deren Eigentümer,
und nicht, wie der Dieb oder Räuber, bloßer Besitzer wird. Auch
wird die moderne Gesetzgebung nicht nöthig haben, von diesem durch
die Erwägung: voluit, quamvis coactus voluit vollständig begrün-
deten Satz des römischen Rechtes abzugehen; vielmehr kann. es sich
nur darum handeln, ob nicht für das heutige Recht eine Verallge-
meinerung des Rechtsmittels sich empfiehlt, welches das römische Recht
zur Wiederherstellung der durch den Zwang verletzten Rechtsordnung
gewährte, — daß der Erwerb durch Erpreffnng nicht minder unsittlich
sei, als der Erwerb durch Raub und Diebstahl, und daß der durch

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