9.5.
Zum deutschen Obligationenrecht
:
(Fortsetzung)
Von Behrend
306
Literatur.
Entwurfes als unnöthig, so sehr er mit der Vorschrift einverstanden ist.
Auslegung einer Urkunde ist aber nichts als tatsächliche Feststellung des
wahren Willens, der durch die urkundliche Erklärung zum Ausdruck ge-
bracht ist. Ein Verstoß gegen ein Gesetz liegt nur vor, wenn auf den
festgestellten wahren Willen eine Nechtsregel mißverständlich angewandt,
ein gesetzlicher Begriff, das Wesen und die Natur eines Rechtsinstituts
verkannt ist; aber die Zulässigkeit der Revision soll durch § 479 auch auf
die Fälle erstreckt werden, in denen mit richtigen Rechtsbegriffen operirt
und rein thatsächlich in der Willensmeinung geirrt ist. Gegen 479 ist
nicht einzuwenden, daß er unnöthig, sondern daß er zu eng ist, daß er
sich nicht auch auf Auslegung von Willenserklärungen bezieht, die in
ihrem Wortlaut von dem ersten Richter durch andere Mittel als auf
Grund eines urkundlichen Nachweises thatsächlich festgestellt sind.
Wenn endlich der Verfasser, um dem Revisionsrichter das Urtheil
zu ermöglichen, ob prozessualische Verstöße vorgekommen sind, eine er-
gänzende Vorschrift fordert, nach welcher eine Darstellung „des Verfah-
rens" vom Richter oder den Parteien bei eingelegter Revision dem Richter
unterbreitet werde, so ist diese Ausstellung gegen den Entwurf, insoweit
etwas Anderes gefordert wird als Z 269 Nr. 3 dem Richter zur Pflicht
macht, schwer verständlich. Jedenfalls wird § 269 Nr. 3 dem wirklichen
Bedürfnis vollständig genügen.
Greifswald. Eccius.
4.
Zum deutschen Obligationenrecht.
Von Behrend.
(Fortsetzung.)
II.
Das Resultat der bisherigen Erörterung ist: das Versprechen kann
in gewissen Füllen eine Haftung, abgesehen von der Pollicitatio aber
niemals eine Schuld des Promittenten begründen. Zur Entstehung der
letzteren gehört noch entweder die Annahme, d. h. das Versprechen muß
zum Vertrage werden — oder es muß wie bei der Auslobung ein anderer
Erwerbsakt hinzukommen.
In Bezug auf das geltende Recht darf sich diese Auffassung im All-
gemeinen auf die Zustimmung Siegel's berufen.
Wie bereits hervorgehoben, erkennt S. selbst an, daß Schenkungs-
versprechen und Bürgschaft nach unserem derzeitigen positiven Recht den
Verträgen zuzurechnen sind. Soweit seine Erörterungen darauf hinaus-
laufen, die Entbehrlichkeit der Annahme für diese und ähnliche Fälle
darzuthun, sind sie demnach als eine Anforderung an den Gesetzgeber, nicht
aber als ein Ausdruck des bestehenden Rechts zu betrachten.
Die Vorwürfe, welche S., um diese Anforderung zu begründen, der
Jurisprudenz macht, daß sie zu willkürlichen Präsumtionen und Fictio-
nen, zu unbegründeten „Annahmen von Annahmen" ihre Zuflucht nehme,
um einen Vertrag herauszuconstruiren, sind großen Theils gerechtfertigt.