Full text: Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht (Bd. 7 (1874))

620 Seydel: Kontroversen des Reichsverfaffungsrechtes.
dem Abschnitte XI, „ Reichs kriegswes en," stehe und daß überdies in dem
entsprechenden Artikel der norddeutschen Bundesverfassung, sowie in
Ziffer VI des bayerischen Bündnißvertrages das in Rede stehende Recht
als Recht nicht, wie sonst der Ausdruck lautet, des Bundesprästdiums,
sondern des Bundesfeldherrn bezeichnet werde. Es könnte ferner hervor-
gehoben werden, daß die Herstellung der innern Ruhe in den einzelnen
Bundesstaaten den Landesregierungen obliege, und daß das Recht zur
Verhängung des Kriegszustandes dem Kaiser nur insofern habe zuge-
schrieben werden wollen, als es sich um eine kriegerische Maßregel
handle, da nur hier allein eine Bundeszuständigkeit gegeben sei.
Wir halten diese Ginwürfe nicht für stichhaltig.
Maßgebend muß vor Allem der Wortlaut des Art. 68 erscheinen,
welcher ganz allgemein von Bedrohung der öffentlichen Sicherheit
spricht, ohne zwischen dem Falle eines Krieges und dem Falle des
Aufruhres einen Unterschied wachen. Dazu kommt, daß Art. 68 das
preußische Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1651
zum provisorischen Reichsgesetze erhebt, welches die Erklärung des Be-
lagerungszustandes sowohl im Kriege als im Frieden regelt und daß
man daher genöthigt ist, anzunehmen, es habe das Recht zur Verhän-
gung des Kriegszustandes in demselben Umfange an den Kaiser über-
tragen werden wollen, in welchem es in diesem Gesetze (§ 1 und 2)
den preußischen Militärbefehlshabern, bzw. dem preußischen Staats-
ministerium zugeschrieben ist.
Hiergegen beweist die Stellung des Art. 68 unter Abschnitt XI
nichts, da nicht einzusehen wäre, unter welchen andern Abschnitt
man diese Bestimmung hätte einreihen sollen; beweist ferner nichts der
Ausdruck „Bundesfeldherr" an den oben angeführten Orten, da die
Verhängung des Kriegszustandes, mag sie aus was immer für einem
Grunde beschloffen werden, ihrer Wirkung nach stets militärische Maß-
regel ist und daher vom Feldherrn des Bundes auszugehen hat.
Hiermit ist auch schon dem letzten der angegebenen Einwände be-
gegnet. Denn wenngleich es allerdings richtig ist, daß die Sorge für die
innere Ordnung in den Bundesstaaten zunächst nicht Sache des Reiches sei,
so kann doch jenes energische Mittel zur Bekämpfung des Aufruhres, da
die Berechtigung zu dessen Anwendung ein Ausstuß des militärischen
Oberbefehles ist, nicht vom Landesherrn, sondern nur von dem in Voll-
zug gesetzt werden, in dessen Händen das Feldherrnamt im Kriege
und im Frieden ruht, vom Kaiser.

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