Full text: Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht (Bd. 7 (1874))

Pfizer: Die Rechtskraft und deren Wirkungen. ;c.

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nen Theiles des Pandektenrechtes „gebildet hat. Die nothwendige Folge
hiervon war eine Entfremdung zwischen Wissenschaft und Leben,
eine Verknöcherung der ersteren in dogmatischen Schulsätzen, deren Ver-
nunstwidrigkeit es zuweilen mit den Produkten neurömischer Unfehl,
barkeit aufnehmen kann*). — Soviel auch durch und seit Savigny
für das Verständniß des römischen Rechtes geschehen ist: für das deutsche
Volk ist und bleibt dasselbe ein fremdes Recht; die Schatze, die es
birgt und welche uns deutsche Wissenschaft erschlossen hat, zu ver-
achten und wegzawcrfen, kann keinem Vernünftigen einfallen; aber wie
die Kunst, so muh auch das Recht bei jedem selbständigen Volke seine
eigenen Formen annehmen, und das Gold des römischen Rechtes er-
hält seinen vollen Werth für uns erst dann, wenn es in die Formen
nationaler Sprache geprägt sein wird. Die Lehre von der exceptio
rei judicatae wird dem deutschen Volke ewig unverständlich bleiben»
und wenig ist gewonnen, wenn man die lateinischen Worte fein ge-
wissenhast überträgt in „die Einrede der abgeurtheilten Sache." Ich
habe versucht die Lehre von den Wirkungen des Urtheiles in durchaus
d e u t s ch e m G e w a n d e darzustellen.
I. Förmliches Recht und materielle Wahrheit.
§- 1.
Die Bestandtheile des Urtheiles.
Wenn die hannöverische Prozeßordnung und nach ihrem Vorgang
andere neuere Prozeßgesetze, sowie der Entwurf einer deutschen Eivil-
Prozeßordnung eine Gliederung des Urtheiles in Thatbestand, Entschei-
dungsgründe und Entscheidung vorschreiben, so ist damit zunächst eine
rein formelle Vorschrift gegeben, dem Wesen nach unterscheidet sich
ein nach dieser Vorschrift abgefaßtes Urtheil nicht von dem Urtheile,
wie es früher redigirt zu werden pflegte, sei es zweigliederig (Urtheils-
formel mit abgesonderten Gründen) oder eingliederig (das durch „Er'
wägungen" motivirte Urtheil des französischen Verfahrens); denn der
Sache nach besteht jedes richterliche Urtheil, wie überhaupt jedes (wis-
senschaftliche, künstlerische :c.) Urtheil aus drei Gliedern: zwei Prämissen
und einer daraus gezogenen Folgerung. Beim richterlichen Urtheile
insbesondere bilden diese drei natürlichen Glieder 1) das von den
Parteien dem Richter vorgetragene Faktum „der Fall", 2) das vom
*) Das Recht hörte aus das zu fein, was es fein soll: ein „gemeines Gut", daß
„in uns quillt wie Herzensblut". (Uhland.)

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