Literärische Umschau.
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delsrechtes mindestens immer noch viel mehr, als auf einem bestimmten
anderen, sehr nahe gelegenen Wege jemals erreicht worden wäre. Dieser
nahe liegende und freilich sehr verschiedene Weg war der bekannte und
ungeachtet seiner Erfolglosigkeit doch nur zu häufig wieder angestellte
Versuch, ein neues Gesetz lediglich aus dem Wortlaut seiner Beistimmun-
gen erklären zu wollen. Daß wir vor diesem Versuche bei unserem Han-
delsgesetzbuche bewahrt geblieben sind, ist wohl als ein günstiges Zeichen für
die Gesundheit und Lebensfähigkeit deutscher Rechtswissenschaft anzusehen.
So berechtigt nun jene Erklärungsweise auch ist, welche die Aus-
legung des Handelsgesetzbuches vorzugsweise aus den Vorarbeiten dessel-
ben und namentlich aus den Nürnberger Protocollen entlehnt, so großen
Nutzen dieselbe bereits geleistet hat und so unentbehrlich sie in der Gegen-
wart noch ist, so wird sie doch kaum zureichend für alle Zeiten sein und
wir gehen bereits einer Periode entgegen, in welcher die Benutzung der
Vorarbeiten für die Auslegung des Gesetzbuches zwar keineswegs völlig
vernachlässigt werden, aber doch nicht mehr den wichtigsten Bestandtheil
für die wissenschaftliche Erklärung des Gesetzbuches bilden wird. Nicht
blos die vielgestaltige handelsrechtliche Praxis unserer Gerichte, sondern
der unendlich bewegliche Handelsverkehr selbst fördert stets neue Contro-
versen zu Tage, welche entschieden sein wollen, ohne daß die Vorarbeiten
des Gesetzbuches ihrer gedenken oder sie auch nur für möglich gehalten
haben, neue Schöpfungen der Verkehrswelt, welche Aufnahme in das
System des Gesetzbuches verlangen und für welche die Wissenschaft erst
die richtige Stelle finden soll. Der Inhalt der Vorarbeiten des Han-
delsgesetzbuches wird in nicht zu ferner Zeit ein Gemeingut der Wissen-
schaft wie der Praxis werden, dessen Kenntniß man voraussetzt, aber
andere Fragen und andere Mittel der Auslegung werden an die Stelle
der bisherigen treten. Auch die Literatur des französischen Civilgesetz-
buches hat diese Erfahrung gemacht, wie die große Verschiedenheit der
früheren und der gegenwärtigen Bedeutung von solchen Werken beweist,
welche, wie Maleville's vortrefsticher Commentar des Code Napoleon,
sich nur auf die Discussion des Staatsrathes stützen.
Je weiter wir uns von der Periode der Publication des Handels-
gesetzbuches entfernen, desto mehr wird in der handelsrechtlichen Literatur
die Casuistik in den Vordergrund treten. Aufgabe der Wissenschaft wird
es sein, den casuistischen Stoff nicht principlos aneinanderzureihen, son-
dern nach festen Grundsätzen zu ordnen und systematisch zu verarbeiten.
Die casuistische Richtung in diesem Sinne wird neben der dogmatischen
Analyse der gesetzlichen Bestimmungen als einer der Gesichtspunkte ange-
sehen werden können, von welchen die Verfaffer in dem vorliegenden
Commentare ausgegcmgen sind. Dabei hat die Benutzung der Vorarbeiten
in diesem Commentare in reichem Maße stattgefunden, da sie in der Ge-
genwart noch nicht entbehrt werden kann.
Auch die Anlehnung an die reichhaltige ältere Literatur des Han-