Full text: Archiv für Theorie und Praxis des allgemeinen deutschen Handelsrechts (Bd. 15 (1869))

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Königreich Preußen. Art. 395. (385).

„Verklagter ist Spediteur. Nach Art. 385 H.-G.-B. hat er
also die Vertretuugspflicht eines Frachtführers. Dieser haftet aber
nach Art. 395 für jeden Verlust, sofern er die Entstehung dieses
Schadens durch vis major nicht nachweist. Einen solchen Nachweis
hat er nicht geführt. Er versucht, einen einfachen Zufall, nämlich den
unverschuldeten Bruch der Leiter, nachzuweisen. Dieser Zufall war
aber abwendbar z. B. durch den Gebrauch einer stärkeren oder
metallenen Leiter. Vis major ist ein unabwendbarer Zufall."
Das Appell.- Gericht hat das Urtheil erster Instanz bestätigt
aus folgenden Gründen:
„Der Versuch des Verklagten, den Bruch der Leiter als Ursache
der Beschädigung unter den Begriff „vis major" zu subsumiren, ist
verfehlt. Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie er in der Appell.-
Rechtfertigung ausführt, vis major nach römischem Rechte und easus
gleichbedeutend sind.
Das gemeine Recht in der Gestaltung, die es in der Praxis
in Deutschland angenommen hat, versteht unter vis major eine be-
sondere Art von Ereignissen, die außerhalb menschlicher Willkür
liegen, und stellt diese ungewöhnlichen Ereignisse dem einfachen Zufall
„oasns" gegenüber.
Auch das allg. Landrecht hat die Distinction des gemeinen
Rechtes zwischen easus und vis major ausgenommen. Es unter-
scheidet in § 364 allg. L.-R., Thl. I, Tit. 5 dem Begriff nach zwischen
Zufall und unabwendbarer Gewalt und Uebermacht, indem es in der
Alternative dem Ausdrucke „Zufall" die davon verschiedene „unab-
wendbare Gewalt und Uebermacht" entgegenstellt. Hätte es beides für
gleichbedeutend dem Begriffe nach angesehen, so hätte es genügt, den
Ausdruck „Zufall" für die im Sinn gehabten Ereignisse zu gebrauchen.
Das Handelsgesetzbuch ist der Distinction des gemeinen
Rechts gefolgt. Die Conferenz-Protocolle zu Art. 395 H.-G.-B.
lassen über die Bedeutung des Ausdrucks „höhere Gewalt" keinen
Zweifel. Nach den Motiven ist darunter nicht jeder Zufall, sondern
ein vom menschlichen Willen unabhängiges, mit mensch-
lichen Kräften nicht abwendbares Ereigniß zu verstehen.
Die angefochtene Auslegung des Begriffs „höhere Gewalt" Seitens
des ersten Richters entspricht daher in jeder Hinsicht der Willens-
Minung des Gesetzgebers."

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