Full text: Archiv für Theorie und Praxis des allgemeinen deutschen Handelsrechts (Bd. 22 (1871))

Uebergang der Gefahr auf den Käufer nach den Bestimmungen re. 93
düng findet, geht schon daraus hervor, daß fast alle neueren Ge-
setzgebungen von demselben bedeutend abweichen und zum Theil
erst dann, wann dem Käufer tradirt, derselbe also Eigenthümer
geworden ist, die Gefahr auf denselben übergehen lassen/) zum
Theil wenigstens erst einen späteren Zeitpunkt als das römische
Recht es thut, für den Uebergang der Gefahr festsetzen?) Es
kann indessen keinem Zweifel unterliegen, daß, mag man auch nicht
gerade den Grund darin suchen, daß schon nach Vollendung des
Kaufvertrags die Kaufsache auch ohne Tradition als aus dem
Vermögenskreise des Verkäufers ausgeschieden und in denjenigen
des Käufers übergegangen angesehen wird/) was offenbar zu weit
geht, so doch jedenfalls zum Mindesten eine gewisse Billigkeit für
denselben geltend gemacht werden kann?) Denn wenn die Gesetze
den Verkäufer einerseits von dem Zeitpunkte des Vertragsabschlus-
ses zur eu8to61n plena verpflichten und ihn für die geringsten
Versehen verantwortlich machen, wenn die Sache durch seine Schuld
zu Grunde geht oder verschlechtert wird, und ebenso sicher ist, daß
der Verkäufer durch den Kaufvertrag nunmehr verhindert ist sich
der Sache anderweit zu entäußern und damit dem durch zu Grunde-
gehen oder Verschlechterung derselben drohenden Verluste vorzu-
beugen, andererseits aber der Käufer ebenso von jenem Zeitpunkte
an alle Vortheile genießt, welcher der Sache noch vor deren Ueber-
gabe an ihn erwachsen, so ist es nicht mehr als billig, daß gegen-
über allen diesen Verpflichtungen, welche dem Verkäufer von dem
Zeitpunkte des Kaufabschlusses an entstehen, auch der Vortheil zu
Theil wird, daß er gegen den gänzlichen Verlust oder die Ver-

') So das preußische Landrecht (I Tit. 11. § 95, 128 bis 134); das
österreichische Recht (bürg. Gesetzbuch § 1048, 1051, 1064); das spanische Recht
(H.-G.--B. Art. 366). Zu weit geht man übrigens offenbar, wenn man, wie
Reatz in Linde's Zeitschrift N. F. Bd. XV, S. 363 thut, geradezu behauptet,
daß das römische Recht mit seinem Satze, daß der Käufer die Gefahr trage,
niä t der natürlichen Anschauung folge. Vgl. auch S. 384 und ebenso Koch,
das Recht der Forderungen, Bd. I, S. 211 fg.
^) Vgl. den Code civil Art. 1585 u. 1586, Code de comm. Art. 100.
3) So Windscheid, Pandekten Bd. II, tz. 390.
? So Glück a. a. O., S. 133 und Regelsberger im Archiv für civ. Prax.
Bd. 49, S. 203. Anders Jhering in seinen Jahrbüchern für Dogmatik Bd.
Ul, S. 462.

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