260 B.XI. Chronik merkwürdiger Criminalfälle aus den letzten Monaten.
der Ermordung des Sägers Kaiser so zu sagen angeklagt; diese
sprachen sich nämlich dahin aus, daß er am 14. Mai 1851 seine
Wohnstube, die er im Hause der Mutter gehabt, verlassen und
erst am 16. Mai früh 2 Uhr nach Hause gekommen sei; daß er
beim Morgenessen am ganzen Leibe gezittert und nicht im Stande
gewesen sei, das übliche Tischgebet zu verrichten; daß er sich
nach dem Morgenessen wieder zu Beite gelegt, am Mittagessen
wieder gezittert und nicht gebetet hätte; daß seine Hosen Blut¬
tropfen und Blutspritzer gezeigt, woraus sie entsetzt die Ueber¬
zeugung gewonnen, daß der Sohn und Bruder den Säger
Kaiser ermordet; daß sie ihm Dieses mit den Worten vorge¬
worfen: warum er ihnen auch Dieses noch zu Leid gethan; daß
er die Beschuldigung nicht zu widerlegen versucht, sondern in
Flüche über seine Schwester ausgebrochen sei, und ihnen mit
Mißhandlung gedroht hätte, „wenn sie wegen dieser Sache einen
Lärm machen".
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Ferner wurde erhoben, daß er nach der That im Besitz der
dem Getödteten gehörigen Gegenstände, Uhr und Kette, gewesen
und Beides verkauft hat. Hierzu kommt der Leumund des An¬
geschuldigten. Nach den in der Schlußverhandlung verlesenen
Zeugnissen ist derselbe ein Mensch ohne Religion und Sittlich¬
keit, frech im Lügen schon von den Knabenjahren her, keck im
Stehlen; er führt ein wüstes Leben in Rede und That und ist
der Schrecken der Heimathsgemeinde; er ist arbeitsscheu und
obgleich erst 26 Jahre alt, doch schon vieler Verbrechen ange¬
klagt, namentlich einer Brandstiftung. Bestraft wurde er wegen
mehrerer Diebstähle und zuletzt mit Zuchthaus, wegen Verwund¬
ungen, Nachtschwärmerei und Betrug.
Schließlich kommen zu den Anschuldigungen seine eigenen
merkwürdigen Aussagen, worin er alle Schuld auf einen Andern
wälzt. Er giebt an, er sei am 15. Mai Abends bei dem Wirths¬
haus in Hierbach vorübergegangen, der Wirth, Jakob Kaiser,
habe ihn gerufen, sie wollten heute Nacht dem Säger die Uhr
stehlen (eigene Worte des Angeklagten); sie seien, ohne etwas
Weiteres mit einander zu verabreden, in das Loch hinabgegangen,
ungefähr um 10 Uhr Nachts; der Wirth habe dem Säger ge¬
klopft und gesagt, er sei verirrt und um Nachtherberge gebeten,
die ihm der Säger gegeben (Wirth Kaiser und Säger Kaiser
kannten sich ganz gut und wohnen kaum eine Stunde von ein¬
ander); er, der Angeklagte, habe vor der Hutte Wache stehen
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