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und daß, wenn dem Assisenhofe dennoch gestattet ist, die
Angeklagte auf eine bestimmte Zeit in ein Correktions¬
haus bringen zu lassen, der Gesetzgeber ausdrücklich die
Absicht ausgesprochen hat, daß die Maasregel zur bessern
Erziehung des freigesprochenen Angeklagten genommen
werden soll:
In Anbetracht, daß jedoch dieser Zweck bei der Art,
wie jetzt noch die Correktionsanstalten eingerichtet sind
nicht erreicht werden würde, und es daher angemessener
erscheint, die Angeklagte in Anwendung der dem Assisen¬
hofe durch den bereits erwähnten Art. 66 gestatteten Be¬
fugniß sogleich in Freiheit zu setzen;
A. d. G.
spricht der Assisenhof die Angeklagte von der Anklage
los, und verordnet, daß sie auf der Stelle in Freiheit
gesetzt werden solle.
Assisenhof. — Sitzung vom 9ten Dezember 1823.
Cassationsrekurs von Seiten der Staatsbehörde wegen
Verletzung des Art. 66 p. G. B.
Bei den Verhandlungen am C. H. entstand die Frage,
ob der Cass. Rekurs wegen des Art. 409 p. P. O. hier
zulässig sei.
Der Generalstaatsanwalt war der Meinung, daß
das Cassationsgesuch zulässig, aber unbegründet sei; der
Art. 66 p. G. B. lasse seiner ganzen Abfassung nach dem
Ermessen des Richters freien Spielraum; das Gesetz
würde sich anders ausgedrückt haben, wenn es dem
Richter hätte auflegen wollen, immer entweder die eine
oder die andere Art von Aufsicht zu verordnen, nämlich:
il sera, selon les circonstances, ou remis à ses parens,
ou conduit dans une maison de correction; wenn daher
auch die in dem Urtheil des Assisenhofs enthaltenen Motive
der völligen Freilassung ausser der Sphäre seiner amt¬
lichen Beurtheilung und seines amtlichen Wissens lägen,
so verstoße doch der dispositive Theil des Urtheils gegen
kein Gesetz.
Max-Planck-Institut für
europäische Rechtsgeschichte
DFG