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des Völkerlebens an. Freilich hat auch die Natur, so wie
dies erstens keinesweges der Fall ist, vielmehr die Exculpa¬
das Reich Gottes auf Erden ein hohes und heiliges Recht,
tion erst eine Sache der richterlichen Folgerung aus dem ge¬
dessen Erforschung aber zunächst dem Naturforscher und Got¬
leisteten Eide seyn kann, und da ja übrigens das Purgato¬
tesgelehrten anheimfällt. Dagegen muß aber der Rechtsge¬
rium sogar unmittelbar den Inculpaten toto die ihre eigne
lehrte alles, was als Recht im Leben der Völker gilt, als
Exculpation auferlegt und gestattet.
Gegenstand seiner Studien betrachten; mag es nun unmittelbar
Aus diesen Gründen erklärt es sich, daß die Juristen¬
durch öffentliche Gewalten vorgeschrieben, oder durch Auto¬
facultät zu Leipzig erst noch in einem der letzten Jahre einen
nomie festgesetzt, oder durch Sitte und Gewohnheit gebildet
Eid unter den dargestellten Umständen und in der oben er¬
worden seyn; mag es einen bloß äußerlich juristischen, oder
wähnten Maaße zuerkannt hat. Neuerdings ist dieselbe von
auch innerlich sittlichen Charakter haben, auf Strenge oder
dieser Ansicht bei einem ähnlichen Falle abgegangen; und es
auf Billigkeit beruhen. Von einer absoluten Trennung des
ist allerdings eine andre Frage, ob es in jedem besondern
Rechtes und der Moral weiß die wahre Rechtswissenschaft,
Falle rathsam seyn dürfte, einen solchen Eid zu gestatten;
wie sie in unsern Zeiten wieder anerkannt wird, und wie sie
hier kommt aber ein ganz andres Erforderniß der Eideslei¬
von den großen Römischen Juristen geübt und ausgebildet
stung, nämlich Veritas, in Rücksicht, und hierbei können
wurde, durchaus nichts. Das “Honeste vivere" ist ewig
allerdings nur die besondern Eigenschaften des Inculpaten
die erste Grundregel alles wahren Rechts. — Aber auch
und andere Nebenumstände entscheidend seyn. An sich aber
einseitige Abschließung gegen einzelne Seiten des menschlichen
kann ein unter den geschilderten Umständen zuerkannter Eid
Lebens kennt die wahre Rechtswissenschaft nicht. Sie ist
nicht verworfen werden; wie denn selbst der große Urthels¬
noch immer, außer der “ Justi atque injusti scientia ,
verfasser Hommel in seinem teutschen Flavius (Ausg. v.
zunächst eine "divinarum humanarumque rerum notitia"
1775. s. v. „Trunkenheit") folgende Formel aufstellt: In¬
indem sie zur Erforschung des Rechten und des Rechts sich
culpat ist, „daß sein Vorwand, wasmaaßen er zur selbi¬
nach allen Seiten des menschlichen Daseyns hin verbreiten
gen Zeit dergestalt trunken gewesen, daß er nicht wisse, was
und selbst von göttlichen Dingen Kunde nehmen muß. -
er damals geredet, der Wahrheit gemäß sey, zu schwören
Wohl möchte es nun den Anschein gewinnen, als wenn die
schuldig.
Rechtswissenschaft bei solchen Anforderungen eines bestimmten
Grundes und eines festen Begriffes entbehre. Allein dieß ist
keinesweges der Fall, wie das Folgende zeigen wird. Der
Ueber den nationalen Standpunkt des Rechts¬
Grund, aus welchem Recht und Rechtswissenschaft hervor=
gelehrten *).
gehen, ist nämlich das Leben der Nationen als solcher.
Vom Herausgeber.
Wohl hat man in neuern ZZeiten diesen Grund insofern
erkannt, als man, besonders mit der s. g. historischen Schule
unserer Juristen, lehrte, daß das Recht, gleich der Sitte,
Sprache, Denkungsweise, u. s. w. sich aus dem Volke von
Das Recht, mit dessen Erforschung und Anwendung der
selbst und zwar vor allen durch Gewohnheit entwickle, und
Rechtsgelehrte es zu thun hat, gehört wesentlich dem Gebiete
daher auch nach Volk und Zeit sehr verschieden sey. Allein
wenn auch die Häupter dieser Schule selbst erklärten, daß
alles Recht „aus dem rechtlichen Bewußtseyn der freien
*) Auch diesen Aufsatz entlehne ich aus meiner ehestens erscheinen¬
den Schrift: über das Wesen und die Freiheit der
sittlichen Nation" entstände; so begnügte man sich doch mei¬
Christlichen Kirche. Er ist bereits vor den JuliTagen
stens gar zu bald mit dem bloßen Satze von der Entstehung
dieses Jahres geschrieben, seit welcher Zeit eine richtige Ansicht
von der Nation noch so viel wichtiger geworden ist. Da ich
vergebens gehofft habe, die neuste Französische Revolution und
Aufsatzes in diesen Blättern durch den Wunsch gerechtfertigt
ähnliche Erscheinungen in andern Ländern aus dem ächt natio¬
werden, den allerwichtigsten Gegenstand für unsere heutigen
nalen Standpunkte irgendwo richtig gewürdigt zu finden, viel¬
Staats= und Rechtsverhältnisse, das wahre National-
mehr dieser selbst von der Wissenschaft noch fast ganz verkannt
Leben, allgemeiner besprochen und erörtert zu sehen.
zu werden scheint, so mag die Mittheilung des vorstehenden
Elyers.
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